Altes Testament und Archäologie: 6. Die Eroberung des Gelobten Lands
Nach dem Tod des Moses war es die Aufgabe Josuas, die Israeliten ins Gelobte Land zu führen. Die Israeliten lagerten zunächst zu Füßen des Tall el-Hammam, des ehemaligen Sodom. Damals war gerade eine wasserreiche Zeit und zudem Frühling, denn die Israeliten feierten nach dem Durchschreiten des Jordans zunächst das Paschafest (vgl. Jos 5,10 f.). Zudem heißt es ausdrücklich, dass der Jordan über seine Ufer getreten war (Jos 3,15). Er dürfte daher ein reißender Fluss gewesen sein.
Die Durchquerung des Jordans
Als die Füße der Priester, die die Bundeslade trugen, das Wasser berührten, blieben die Fluten des Jordans stehen, heißt es in Jos 3,14-16. Das Wunder scheint darin bestanden zu haben, dass ein anderes Ereignis gerade zur rechten Zeit eintrat. Dieses Ereignis hat sich nämlich in ähnlicher Weise noch mehrmals wiederholt. 28 Kilometer nördlich von Jericho fließt der Jordan durch eine Schlucht aus weichem Gestein (Mergel, eine Mischung aus Ton und Kalk). Am 11.7.1927 gab es hier ein Erdbeben der Stärke 6,2, das einen Erdrutsch auslöste und den Fluss 22 Stunden aufstaute. Ähnliche Staus soll es 1267 für 10 Stunden und 1546 für zwei Tage gegeben haben.
Jericho
Die erste Stadt, die die Israeliten eroberten, war Jericho. Schon vor der Überschreitung des Jordans hatte Josua zwei Kundschafter nach Jericho geschickt, die dort beinahe entdeckt und verhaftet worden wären. Die Herbergswirtin und Dirne Rahab versteckte sie jedoch und verhalf ihnen zur Flucht, weshalb die Kundschafter ihr versprachen, sie und ihre Familie bei der Eroberung der Stadt zu schonen (Jos 2).
Der Entdecker des alten Jericho war der Deutsche Ernst Sellin (1867–1946). Wie schon andere vor ihm vermutete er dieses unter einem Hügel in der Nähe der sogenannten Sultans-Quelle, die wahrscheinlich identisch mit der Quelle ist, die Elisäus mit Salz zu gutem Wasser gemacht hatte (vgl. 2 Kön 2,21). Sellin grub hier zwischen 1908 und 1911. In den 1930er und 50er Jahren gruben dann englische Teams weiter.
Jericho war vielleicht die älteste Stadt der Welt. Es gab hier schon um 9500 v. Chr. eine Siedlung von Jägern und Sammlern um die Quelle. Ein Jahrtausend später wurde sogar schon eine Schutzmauer von 3,60 m Höhe gebaut und ein Turm von 9m. Gegen 7800 wurde die Stadt allerdings aufgegeben und erst 1000 Jahre später wieder besiedelt. Ihr größtes Ausmaß soll sie 2350 v. Chr. erreicht haben, wurde dann aber wegen eines Erdbebens wieder aufgegeben. Erst nach der Zerstörung von Sodom wurde sie neu gegründet, vermutlich, weil diese Gegend von der Katastrophe weitgehend unberührt geblieben war. Jetzt wurde sie mit einer doppelten Stadtmauer befestigt, die sie praktisch uneinnehmbar machte. Die ärmeren Häuser waren an einem Teil der Stadtmauer zwischen den Mauern oder sogar in die äußere Mauer eingebaut, und genauso beschreibt die Bibel das Haus der Rahab, denn diese ließ die Kundschafter durch ein in die Stadtmauer gebautes Fenster entkommen (Jos 2,15). Sie sollte bei der Belagerung der Stadt aus diesem Fenster eine rote Schnur hängen lassen, damit die Eroberer ihr Haus schonen konnten.
Die Bibel beschreibt nun, dass die Israeliten sechs Tage lang mit der Bundeslade um die Stadt herumzogen. Am siebten Tag umschritten sie sie siebenmal, stießen zum Schluss in die Posaunen und erhoben ein Kriegsgeschrei. Da fiel die Stadtmauer in sich zusammen. Die Israeliten drangen in die Stadt ein und vollzogen an ihr den Bann. Nur die Familie Rahabs wurde aus der Stadt herausgeführt und verschont. Anschließend brannten die Israeliten die Stadt nieder.
Die Ausgrabungen haben genau dies bestätigt: Die Stadtmauern stürzen in sich zusammen und erst anschließend wurde die Stadt durch ein Feuer zerstört. Man fand überall in der Stadt Vorratskrüge, die mit Getreide angefüllt waren, was einerseits ein Hinweis auf eine kurze Belagerung ist und andererseits zum Frühling passt, denn in Palästina war dann die Getreideernte gerade eingebracht worden. Zudem hatte die Ausgrabung Sellins schon gezeigt, dass gerade im Norden der Stadt, wo sich Häuser zwischen den beiden Mauern befanden und einige Häuser an die äußere Stadtmauer angebaut waren, ein Teil der Mauer stehengeblieben war. So konnte Rahabs Familie gerettet werden.
Trotzdem behaupten viele Wissenschaftler, die Ausgrabungen würden nicht zur Bibel passen. Wir haben schon einmal gesehen, dass nichts passt, wenn man den Auszug aus Ägypten auf die Zeit des Pharaos Ramses II. datiert. In diesem Fall hätte es beim Einzug der Israeliten Jericho schon lange nicht mehr gegeben. Darum muss der Auszug aus Ägypten deutlich früher stattgefunden haben, nämlich im 14. oder 15. Jh. v. Chr.
Schilo
Die Israeliten eroberten dann noch mehrere befestigte Städte und zerstörten sie. Sie unterwarfen sich aber nicht sogleich das ganze Land, sondern scheinen zuerst das Bergland unter ihre Kontrolle gebracht zu haben. Dort lebten sie, während es in den Ebenen noch befestigte Städte der Kanaaniter gab.
Das Zentralheiligtum Israels mit dem Bundeszelt und der Bundeslade wurde für lange Zeit Schilo, das ca. 40km nördlich von Jerusalem lag. Zwischen 1926 und 1936 sowie von 1981 bis 1984 wurde hier gegraben, und die Ausgrabungen bestätigten, dass die Stadt zeitgleich mit Jericho, Ai und anderen Städten erobert und niedergebrannt, dann aber als Kultort benutzt worden war.
Sichem
Das Buch Josua berichtet in den beiden letzten Kapiteln (23 und 24), dass Josua am Ende seines Lebens sämtliche Ältesten und Häupter in Sichem zusammenrief. Hier hatte Abraham bei der „Orakeleiche“ (nach anderen eine Terebinthe) Gott den ersten Altar in Kanaan errichtet (Gen 12,7). Hier hatte sein Enkel Jakob Grundbesitz erworben (Gen 33,19), und die Mumie Josefs, die die Israeliten aus Ägypten mitgebracht hatten, wurde jetzt hier begraben. Es scheint, dass die Israeliten Sichem nicht zu erobern brauchten. Vielleicht empfingen die Bewohner sie als aus der Ferne heimgekehrte Verwandte.
Josua zählte die Wohltaten Gottes auf und fragte die Volksscharen dann, ob sie Gott dienen wollten. Dann schloss er den Bund des Volkes mit Gott von neuem und richtete zum Zeichen dafür einen großen Stein auf, der dieses Ereignis bezeugen sollte (vgl. Jos 24,25-27).
Ernst Sellin, der auch in Sichem, dem heutigen Nablus, gegraben hatte, fand die Plattform, auf der ein Tempel stand, der aber schon gebaut worden war, als die Israeliten in Ägypten waren, und einen Altar, zu dem eine Rampe führte. Dahinter lag ein 4 m hoher Stein, eine sogenannte Mazzebe. Als Sellin allerdings publizierte, das sei der von Josua errichtete Stein, wurde er in der protestantischen Fachwelt als religiöser Fanatiker verschrien und 1928 vom Deutschen Archäologischen Institut abberufen. Sein Nachfolger ließ den Stein auf einem Abhang entsorgen, wo er zerbrach. Allerdings erwies er sich als derart inkompetent, dass man 1933 Sellin die Leitung der Grabung wieder übergab. Wegen der Machtergreifung Hitlers und des 2. Weltkriegs mussten die Arbeiten dann aber eingestellt werden und konnten erst in der Nachkriegszeit wiederaufgenommen werden. Der untere Teil des Steins wurde wiedergefunden, der obere nicht.
Die Zeit der Richter
Auf Josua folgte die Zeit der Richter. Die Israeliten hatten keine zentrale Regierung, aber es gab Männer, die bei Streitigkeiten Recht sprachen. Bei Notlagen führten einzelne Richter das Volk auch gegen die Feinde. Es gab sogar eine Prophetin und Richterin, nämlich Debora. „Sie wohnte unter der Deborapalme zwischen Rama und Bet-El auf dem Gebirge Efraim. Die Israeliten zogen zu ihr hinauf zum Gericht“ (Ri 4,5). Das zeigt, dass die Israeliten zu dieser Zeit noch nicht in festen Städten wohnten. Man hielt unter freiem Himmel Gericht, im Schatten einer Palme.
Das Buch der Richter schildert am Anfang die Situation im Land Kanaan folgendermaßen: „Der Herr war mit den Judäern, so dass sie das Bergland in Besitz nehmen konnten. Die Bewohner der Ebene konnten sie jedoch nicht vertreiben, weil diese eiserne Wagen hatten“ (1,19).
Es kam dann auch zu einer gewissen Vermischung der Juden mit der Bevölkerung Kanaans, besonders bei der neuen Generation, die nun heranwuchs. Diese fielen zum Teil vom wahren Gott ab und verehrten den Baal und die Astarte (vgl. Ri 2,10-12).
Wegen ihrer Untreue ließ Gott die Israeliten in die Gewalt Jabins, des Königs von Kanaan, der in Hazor herrschte, und seines Heerführers Sisera fallen, heißt es in Ri 4. Dass Jabin als „König von Kanaan“ bezeichnet wird, hat seinen Grund darin, dass Hazor die Oberherrschaft über die anderen Stadt-Königreiche hatte. Es lag am Kreuzungspunkt zweier Handelsstraßen und hatte Beziehungen zum Altbabylonischen Reich und mit Ägypten.
In dieser Notlage rief Debora den Barak und forderte ihn auf, mit 10 000 Mann auf den Berg Tabor zu ziehen. Sisera, der Feldherr des Königs Jabin, kam dagegen mit 900 eisernen Streitwagen und seiner Heeresmacht. Im Kampf gerieten die Streitwagen in Verwirrung, offenbar machte ein Unwetter ihren erfolgreichen Einsatz unmöglich. Sisera floh und wurde von einer Frau mit einem Zeltpflock erschlagen. Das Debora-Lied, das den Sieg feiert (Ri 5), gilt als einer der ältesten in der Bibel wörtlich zitierten Texte. Es soll spätestens im 12. Jh. v. Chr. entstanden sein.
Die Archäologen fanden, dass die Stadt Hazor gegen 1230 v. Chr. in Flammen aufging. Im Palast platzten die Vorratsgefäße für Olivenöl, die etwa 4000 Liter fassten, und das Öl verwandelte den Brand in einen Feuersturm. Vor dem Brand waren allerdings sämtliche Götterstatuen verstümmelt oder zerstört worden. Das passt auf die Israeliten. Auch errichteten die neuen Herren von Hazor keine Häuser mehr, sondern nur einfache Hütten und Zeltplätze. Erst unter König Salomon wurden wieder Festungsmauern und repräsentative Gebäude errichtet.
Die ersten Dörfer der Israeliten
Um die Wende des 13. zum 12. Jh. v. Chr. wurden die Israeliten sesshaft. Aus Nomaden wurden sie zu Halbnomaden und Bauern. Man fand viele kleine Dörfer. In der ersten Zeit hatten sie die Form eines Ovals, wie ein Beduinenlager, dann passte man die Häuser mehr der Topographie des Ortes an. Die Häuser waren fast alle gleich, aus unbehauenen Feldsteinen gebaut und mit vier Zimmern. In diesen Dörfern fand man auch keine Schweineknochen, im Gegensatz zu den Siedlungen der Kanaaniter.
Die Israeliten entwickelten die Technik des Terrassenbaus, um die Hügel besser bewirtschaften zu können. Dabei wurde das Wasser so von einer Terrasse zur nächsten geleitet, dass kein Tropfen verloren ging. Auch Zisternen wurden gebaut und mit einem besonderen Mörtel abgedichtet. Die Israeliten brauchten das Wasser nicht nur für ihre Äcker, sondern auch für ihre kultischen Reinigungen und wurden darum Spezialisten für Wasserwirtschaft.
Die Dörfer waren äußerst einfach, ohne besonderen Luxus. Ihre Lampen und Gefäße waren schmucklos, es gab keine Tempel und Paläste. Es gab ja auch noch keinen König und keine Fürsten. Das änderte sich erst, als die Israeliten durch die Philister bedroht wurden.