Der heilige Pius X. und die Frühkommunion

Quelle: Distrikt Deutschland

Prälat Wilhelm Hünermann (1953)

Als der Papst in sein Arbeitszimmer zurückkehrte, meldete man ihm eine englische Dame, die kurz darauf mit einem kleinen, vierjährigen Jungen eintrat. Während der Heilige Vater mit der Mutter sprach, trat der Kleine zutraulich herzu und legte ihm seine Hand aufs Knie.
„Aber John!“ rief die Dame erschrocken.
„So lassen Sie ihn schon!“ lächelte Pius. „Der Heiland hat doch auch gesagt: lasset die Kinder zu mir kommen und wehret es ihnen nicht! Du hast etwas auf dem Herzen, John, ich sehe es dir an!“
„Wann darf ich kommunizieren?“ platzte der Junge heraus. Für einen Augenblick schloß Pius die Augen. Seine Gedanken gingen weit, weit fort in die Tage seiner eigenen Kindheit. Hatte er nicht die gleiche Frage gestellt? Beim Kaplan Jacuzzi, beim Pfarrer daheim, endlich vor dem Bischof Sartori in Asola. Er hörte noch die Antwort, die ihm der Oberhirt damals gab:
„Vielleicht wirst du einmal Papst und kannst es ändern!“
Ja, ja, das war das Zeichen, um das er so inbrünstig gefleht hatte. Die Kinder musste er zum Heiland führen, ehe noch der Schatten der Sünde ihre Seelen dunkel macht. Hatte er nicht soeben selbst das Wort des Herrn gesagt? „Lasset die Kleinen zu mir kommen und wehret es ihnen nicht!“
Die Kinder der ganzen Welt sollten ihm beten helfen, wenn sie den Heiland in ihrem Herzen trugen.
„Schläfst du, Papst?“ fragte der Junge erstaunt.
„Simon, schläfst du?“ so hatte der Herr den ersten Papst in jener Nacht gefragt, da er das erhabene Geheimnis eingesetzt. Pius, schläfst du? Lasse die Kindlein zu mir kommen und wehre es ihnen nicht!
„Nein, John, ich schlafe nicht! Jetzt nicht mehr!“ sprach Pius und schaute den Kleinen aus seinen meerblauen Augen an.


„Welch schöne Augen du hast!“ sagte der kleine Engländer. „Aber hast du nicht gehört, was ich gefragt habe?“ Der diensttuende Kämmerer, der der Audienz beiwohnte, machte Miene, den Knaben zurückzuziehen und zum Schweigen zu bringen.
„Wehret es ihnen nicht!“ blitzte der Papst den Monsignore an. Dann wandte er sich mit aller Liebe seines Herzens dem Kind wieder zu:
„Wen empfängst du in der heiligen Kommunion?“ fragte er.
„Jesus Christus!“
„Und wer ist Jesus Christus?“
„Jesus Christus ist Gottes Sohn!“
Da erhob sich der Papst und sagte der Mutter:
„Bringen Sie das Kind morgen früh um 6 Uhr hierher. Ich will ihm selbst in meiner Privatkapelle die heilige Kommunion spenden. Keinen Tag sollst du mehr warten, mein Kind!“
„Ich danke dir, Papst!“ strahlte der Knabe und ging glücklich mit seiner Mutter aus dem Zimmer.
Kurze Zeit später, am 8. August 1910, erschien das Dekret des Papstes „Quam singulari Christus amore“, das allen Priestern auf dem Erdenrund gebot, die Kinder zum Gottesdienst zuzulassen, sobald sie imstande wären, die heilige Kommunion von gewöhnlicher Speise zu unterscheiden.


aus der Romanbiographie des heiligen Pius X. (1835 bis 1914) „Brennendes Feuer“ von Prälat Wilhelm Hünermann (Innsbruck 1953)

 

Aus dem Päpstlichen Dekret „Quam singulari“

 

Pflicht des Kommunionempfanges

I. Das Unterscheidungsalter, sowohl für die Beichte als auch für die heilige Kommunion, ist dann, wenn das Kind zu denken beginnt, das bedeutet, ungefähr ab dem siebten Lebensjahr, manchmal etwas später, jedoch auch früher. Von dieser Zeit an beginnt die Pflicht, dem Doppelgebot der Beichte und der Kommunion Genüge zu leisten.

Nicht erforderliche Kenntnis

II. Zur ersten Beichte und zur ersten heiligen Kommunion ist keine genaue und vollständige Kenntnis der christlichen Lehre erforderlich. Die Kinder müssen sich jedoch später den ganzen Katechismus entsprechend ihrer Fassungskraft stufenweise aneignen.

Notwendige und genügende Kenntnisse

III. Die Religionskenntnis, die für das Kind erforderlich ist, um sich entsprechend auf die erste heilige Kommunion vorzubereiten, besteht darin, die zur Seligkeit unumgänglich notwendigen Glaubensgeheimnisse nach dem Maß seiner Fassungskraft zu verstehen und das eucharistische Brot vom gewöhnlichen leiblichen Brot zu unterscheiden, und mit einer seinem Alter entsprechenden Andacht zum Tisch des Herrn hinzutreten.

Verantwortlichkeit und Recht bezüglich der ersten heiligen Kommunion

IV. Die Pflicht der Kinder, zu beichten und zu kommunizieren, fällt hauptsächlich auf diejenigen zurück, welche für die Kinder zu sorgen haben – auf die Eltern, den Beichtvater, die Lehrer, den Pfarrer. Nach dem Römischen Katechismus steht es dem Vater oder seinen Stellvertretern sowie dem Beichtvater zu, das Kind zur ersten Kommunion zuzulassen.

Allgemeine und feierliche Kommunion

V. Einmal oder mehrmals im Jahr sollen die Pfarrer eine gemeinschaftliche Kommunion ankündigen und veranstalten. Hierzu sollen nicht nur die Erstkommunikanten zugelassen werden, sondern auch diejenigen, welche unter Zustimmung der Eltern und des Beichtvaters, wie zuvor erwähnt, bereits früher die heilige Kommunion empfangen haben. Für die Ersteren, sowie auch für die Letzteren, sollen einige Tage der Belehrung und Vorbereitung vorangehen.

Häufige, tägliche Kommunion und Pflicht der weiteren Fortbildung

VI. Die Personen, welche die Sorge für die Kinder obliegt, sollen sich alle Mühe geben, die Kinder nach der ersten Kommunion öfter zum Tisch des Herrn zu führen, möglichst alle Tage, wie Jesus Christus selbst und die Kirche es sehnlich wünschen. Die Kinder sollen dies mit der ihrem Alter entsprechenden Andacht verrichten. Ferner haben diejenigen eingedenk ihrer ihnen obliegenden überaus wichtigen Pflicht dafür zu sorgen, dass die Kinder den Besuch des gemeinsamen Katechismusunterrichts fortsetzen, oder dass sie auf eine andere Weise den erforderlichen religiösen Unterricht erhalte.