Zeugen der Urkirche - Kirchenväter und Kirchenlehrer

Zeugen der Urkirche - Teil 1
Die Kirchenväter und Kirchenlehrer
Die Quellen unseres Glaubens sind die Heilige Schrift und die Tradition. Da die ersten Kirchenschriftsteller Zeugen der mündlichen Tradition sind, ist ihr Studium unerlässlich. In der heutigen Zeit ist das Studium der Kirchenväter auch insofern wichtig, als immer wieder ein Gegensatz zwischen den Vätern und der scholastischen Theologie konstruiert wird. Der Ruf „ad fontes“, d. h. „zurück zu den Quellen“, bedeutet im Mund eines Modernisten meistens leider nur eine Verachtung der Scholastik und des kirchlichen Lehramts, die man mit den Kirchenvätern rechtfertigen möchte.
In der ersten Zeit fehlten natürlich noch viele Unterscheidungen und Klärungen, die die Theologen unter der Führung des kirchlichen Lehramts erst später herausgearbeitet haben. Das bedeutet aber nicht, dass die alte Kirche einen anderen Glauben verkündet hätte als die Kirche des Mittelalters oder der Neuzeit.
Was ist ein Kirchenvater?
Irenäus von Lyon schreibt: „Wenn jemand die Lehre aus dem Mund eines anderen empfangen hat, nennt man ihn ‚Sohn‘ dessen, der ihn unterrichtet hat, und jener wird ‚Vater‘ genannt“ (Adv. haer. 4,41,2). Schon Paulus schreibt: „Wenn ihr auch zehntausend Lehrmeister in Christus hättet, so habt ihr doch nicht viele Väter. Denn in Christus Jesus habe ich euch durch das Evangelium gezeugt“ (1 Kor 4,15). Im Martyrium des Polykarp (12,2) heißt es dann, dass Heiden und Juden Polykarp „den Lehrer Asiens, den Vater der Christen“ nannten.
Anfangs wurde der Name „Vater“ fast ausschließlich den Bischöfen beigelegt. Sie waren die Zeugen der kirchlichen Überlieferung. Erst im 4. Jahrhundert wurde er auch anderen Kirchenschriftstellern beigelegt. So bezeichnete Augustinus den Priester Hieronymus als „Vater in der Kirche“ (Contra Julian. 1,7,31.34) und rechnete ihn zu den Traditionszeugen für die Erbsünde. Im Decretum Gelasianum (2,12) wird sogar der Laie Prosper von Aquitanien, der den hl. Augustinus zum Kampf gegen den Semipelagianismus aufrief, im Verzeichnis der Väterschriften aufgeführt (DH 353).
Für den Titel eines Kirchenvaters braucht es nach dem Gebrauch, der sich im Laufe der Zeit ausbildete, vier Qualitäten, nämlich Rechtgläubigkeit (doctrina orthodoxa), Heiligkeit des Lebens (sanctitas vitae), Billigung der Kirche (approbatio ecclesiae) und Leben in der Antike (antiquitas). Als letzter Kirchenvater gilt Johannes von Damaskus († 749). Bei den Lateinern ist die Grenze nicht so klar: Gregor d. Gr. († 604) oder besser Isidor v. Sevilla († 636) werden genannt. Manchmal wird auch Beda der Ehrwürdige († 735) noch dazugezählt.
Andere Autoren nennt man besser „Kirchenschriftsteller“, wie Tertullian, der zwar ein wichtiger Traditionszeuge ist, später aber zum Montanismus abfiel, oder Origenes, in dessen Lehre sich mancher Irrtum findet. Manchmal werden aber auch diese in einem weiten Sinn Kirchenväter genannt.
Die Kirchenlehrer
Von den Kirchenvätern zu unterscheiden sind die Kirchenlehrer (doctores ecclesiae). Auch diese müssen sich durch Rechtgläubigkeit und Heiligkeit des Lebens auszeichnen, dazu muss aber noch eine hervorragende Gelehrsamkeit (eminens eruditio) kommen. Dafür kann ihnen die antiquitas fehlen. Sie müssen von der Kirche aber ausdrücklich als Kirchenlehrer anerkannt sein. Bei den ersten Kirchenlehrern beruht das auf uraltem Herkommen, bei den neueren auf einem Erlass des Papstes oder einem Dekret der Ritenkongregation.
In der lateinischen Kirche gelten seit dem 8. Jh. die heiligen Ambrosius, Hieronymus, Augustinus und Gregor d. Gr. als die vier großen Kirchenlehrer des Abendlands. Bonifatius VIII. bezeichnete sie 1295 als erster Papst ausdrücklich als „Kirchenlehrer“.
Die Griechen kennen in ihren liturgischen Büchern nur drei „ökumenische große Lehrer“, nämlich die heiligen Basilius, Gregor von Nazianz und Johannes Chrysostomus. Pius V. fügte noch den hl. Athanasius hinzu und bezeichnete sie 1568 als die Kirchenlehrer des Ostens. Somit gibt es die vier westlichen und die vier östlichen Kirchenlehrer, die auch Kirchenväter sind.
Pius V. erklärte 1568 dann noch den hl. Thomas von Aquin zum Kirchenlehrer, und Sixtus V. verlieh 1588 dem hl. Bonaventura diesen Ehrentitel. In den folgenden Jahrhunderten wurden Anselm v. Canterbury, Bernhard v. Clairvaux, Alfons v. Liguori, Franz v. Sales, Petrus Canisius, Johannes v. Kreuz, Robert Bellarmin, Albertus Magnus u. a. zu Kirchenlehrern erklärt. Im Messbuch gibt es ein eigenes Formular für die Feste der Kirchenlehrer.
Bis zum 2. Vatikanischen Konzil gab man nur Männern diesen Titel, die Bischöfe, Priester oder wenigstens Diakone waren und damit einen Anteil am Lehramt Christi hatten. Erst Paul VI. erklärte dann mit Theresa von Avila und Katharina von Siena zwei Frauen zu Kirchenlehrerinnen. Johannes Paul II. fügte noch Theresia vom Kinde Jesu und Benedikt XVI. Hildegard von Bingen hinzu. Man kann einwenden, dass diese Frauen eher aus ihren mystischen Erfahrungen sprachen als dass sie im eigentlichen Sinn ein Lehramt in der Kirche hatten. Sie hatten eher eine Art Prophetenamt, wie man besonders bei der hl. Katharina von Siena sieht, die den göttlichen Auftrag hatte, den Papst zur Rückkehr von Avignon nach Rom zu bewegen.
Die Bedeutung der Kirchenväter
Die Schriften der Kirchenväter standen in der Kirche von Anfang an in hohem Ansehen. Jedoch kann ein einzelner Kirchenvater durchaus in einzelnen Punkten irren oder sich ungeschickt ausdrücken. So irrte der hl. Cyprian im Ketzertaufstreit, und Chrysostomus, Basilius sowie Cyrill von Alexandrien schrieben Maria sittliche Fehler zu.
Der Consensus unanimis Patrum, d. h. die einmütige Übereinstimmung der Väter in einer Glaubens- oder Sittenlehre ist indes identisch mit der Kirchenlehre. Wenn also in einer Periode der Kirchengeschichte das offenkundige und bestimmte Zeugnis über eine Glaubenslehre bei allen Kirchenvätern, die sich dazu äußern, übereinstimmt und es von anderen Vätern keinen Widerspruch gibt, dann gehört diese Lehre zur Lehre der Kirche. Darum lehrt das 1. Vatikanische Konzil, es sei „niemandem erlaubt, die Heilige Schrift gegen diesen Sinn [den die Kirche festhält] oder auch gegen die einmütige Übereinstimmung der Väter auszulegen“ (DH 3007).
Der hl. Vinzenz von Lérins schreibt in seinem Commonitorium (434):
„In der katholischen Kirche ist in besonderem Maß dafür Sorge zu tragen, dass wir das festhalten, was überall, was immer, was von allen geglaubt wurde; das ist nämlich wahrhaft und eigentlich katholisch; was auch die Bedeutung dieses Wortes anzeigt, das alles insgesamt umfasst. Dies wird aber nur dann geschehen, wenn wir (den Kriterien) der Universalität, des Alters und des Konsenses folgen. Der Universalität aber werden wir dann folgen, wenn wir allein den Glauben als den wahren bekennen, den die gesamte Kirche auf dem Erdkreis bekennt; dem Alter dann, wenn wir nirgends von den Auffassungen abweichen, die unsere heiligen Vorfahren und Väter offenkundig in Ehren gehalten haben; und ebenso dem Konsens dann, wenn wir uns innerhalb der alten Zeit den Entscheidungen und Aussagen aller oder so gut wie aller Bischöfe sowie Lehrer anschließen“ (2,5 f).
Stimmen des Lehramts
Leo XIII. schrieb in der Enzyklika Providentissimus Deus – Über das eifrige Streben nach der Hl. Schrift:
„Was nun die heiligen Väter betrifft, welche ‚als Pflanzer, Begießer, Erbauer, Hirten und Ernährer in der nachapostolischen Zeit das Wachstum der Kirche förderten‘, so ist ihr Ansehen in jenen Fällen von entscheidendem Gewicht, wenn sie sämtlich irgendeine Bibelstelle, sofern diese die Glaubens- und Sittenlehre betrifft, in ein und derselben Weise erklären. Denn gerade aus ihrer Einmütigkeit geht unzweideutig hervor, dass dies auch katholischem Glauben eine von den Aposteln stammende Tradition ist. Die Ansicht derselben Väter ist aber selbst dann hochzuschätzen, wenn sie bezüglich dieses Stoffes als Gelehrte ihre persönliche Meinung vortragen. In der Tat empfiehlt sie nämlich in hohem Grade nicht bloß die Wissenschaft der Offenbarungslehre und die Kenntnis vieler Dinge, die um Verständnis der apostolischen Schriften nötig sind, sondern Gott selbst hat sie als Männer, hervorragend durch Heiligkeit des Lebens und Eifer für die Wahrheit, reichlich mit dem Beistand seines Lichtes unterstützt. Deshalb wird es ein Ausleger als seine Pflicht ansehen, in ihre Fußstapfen mit Ehrfurcht einzutreten und ihre Arbeiten mit verständiger Auswahl zu benutzen.“
Auch Pius XII. trat in Divino afflante Spiritu für das Studium der Kirchenväter ein:
„Bei der Erfüllung dieser seiner Aufgabe bietet dem katholischen Exegeten eine treffliche Hilfe das Studium der Werke, in denen die heiligen Väter, die Lehrer der Kirche und die hervorragenden Schrifterklärer der Vorzeit die heiligen Bücher erklärt haben. An profaner Bildung und an Sprachenkenntnis kamen diese alten Schriftausleger bisweilen unseren heutigen Exegeten zwar nicht gleich; aber kraft der Aufgabe, die Gott ihnen in der Kirche gestellt hat, zeichnen sie sich aus durch gemütstiefe Schau der himmlischen Dinge und durch wunderbare Geistesschärfe, wodurch sie weit eindringen in die Tiefen des göttlichen Wortes und alles herausarbeiten, was dazu dienen kann, Christi Lehre zu beleuchten und die Heiligkeit des Lebens zu fördern. Es ist bedauerlich, dass diese kostbaren Schätze des christlichen Altertums manchen unserer heutigen Schriftsteller zu wenig bekannt sind.“
Das Studium der Kirchenväter spielte bei der Konversion von John Henry Newman, dem späteren Kardinal, eine wichtige Rolle. Er versuchte lange Zeit, den Weg der anglikanischen Kirche als Mittelweg (via media) zwischen den Extremen des Römischen Katholizismus und des Protestantismus zu verteidigen. Die ersten Zweifel, schrieb er, seien ihm gekommen, als er die Periode des Monophysitismus studierte. Die Monophysiten behaupteten nur eine Natur in Christus und waren damit gewissermaßen die Protestanten dieser Zeit, während die Römische Kirche an den zwei Naturen Christi (der göttlichen und der menschlichen) festhielt.
Es gab damals auch Zwischenpositionen (die gewissermaßen die Anglikaner vorbildeten), aber die Kirchenväter standen klar auf Seiten der Römischen Kirche, und deren Lehre setzte sich durch. Dasselbe Bild ergab sich schon vorher zur Zeit des Arianismus, in der es die Semiarianer gab, die bereit waren, eine Gottähnlichkeit Christi zuzugeben.
Wieder aber lag die Wahrheit bei der katholischen Kirche und nicht bei den Semiarianern, die wie die Arianer im Laufe der Zeit verschwanden.