Die Kirchenväter: 6. Irenäus von Lyon

Quelle: Distrikt Deutschland

Pater Matthias Gaudron

Irenäus lebte im 2. Jh. n. Chr., war jedoch kein Apologet, sondern kämpfte in seinem Hauptwerk Adversus haereses (Gegen die Häresien) vor allem gegen die Gnosis, die sich damals verbreitete. In diesem Zusammenhang legte er auch die katholische Lehre dar, um die Gegensätze aufzuzeigen.

Die Gnosis

Das Wort Gnosis bedeutet Wissen, Erkenntnis. Die gnostischen Lehrsysteme waren ganz unterschiedlich, gemeinsam ist ihnen aber, dass sie die Erlösung vor allem durch die Erkenntnis erwarteten. Es braucht also keinen Erlöser, sondern der Mensch muss erkennen, dass er mit seinem höheren Teil in das göttliche Lichtreich gehört und dass sein Dasein in der materiellen Welt eine Verbannung ins Reich der Finsternis darstellt. Er muss sich darum von der Materie lösen, um wieder ins Lichtreich aufzusteigen.

Die Gnostiker griffen auf ganz verschiedene mythische und philosophische Traditionen zurück, die sie in ihrem Sinn umdeuteten, darunter eben auch auf christliche Vorstellungen. Sie formten aber die biblischen Bücher und christlichen Lehren in ihrem Sinn um. Nur diese christliche Version der Gnosis interessierte die Kirchenväter.

Manche gnostischen Gruppen gaben sich sogar eine kirchenähnliche Struktur, so dass sie christlichen Gemeinden ähnlich sehen konnten. Es kam vor, dass Christen innerhalb ihrer Gemeinde zur Gnosis neigten, weil sie die Unvereinbarkeit der beiden Lehrsysteme nicht erkannten, und bisweilen verwechselten sogar Außenstehende die Gnosis mit dem Christentum und hatten wegen des Unfugs der gnostischen Behauptungen kein Interesse an der christlichen Lehre.

Irenäus sah sich deshalb als Bischof vor eine neue Aufgabe gestellt, die sich von der traditionellen Auseinandersetzung mit Juden- und Heidentum unterschied. Er hat offenbar mit den Gnostikern diskutiert und sich deren Schriften beschafft. Er ist darum bis heute eine der wichtigsten Quellen für die Geschichte der Gnosis. Neue gnostische Originaltexte, die in Ägypten gefunden und ab 1946 veröffentlicht wurden, haben seine Angaben durchweg bestätigt.

Leben

Irenäus stammte aus Kleinasien, wo er wahrscheinlich um 140 n. Chr. geboren wurde. In seiner Jugend lebte er in Smyrna, wo er ein Schüler des heiligen Polykarp war. Wann und warum er nach Gallien ging, wissen wir nicht. Zur Zeit Mark Aurels war er Presbyter in Lyon (das damals lateinisch Lugdunum hieß). Er ging als Abgesandter der Märtyrer von Vienne und Lyon (das waren inhaftierte Christen) nach Rom, um in der Frage des Montanismus zur Milde zu mahnen. Nach dem Märtyrertod des Bischofs Photinus v. Lyon wurde (177/78) wurde Irenäus sein Nachfolger.

Leider wissen wir nicht viel über sein weiteres Leben. Vermutlich hat er viel für die Ausbreitung des Christentums in Gallien beigetragen. Ein letzter chronologischer Anhaltspunkt ist ein Brief von ihm an Papst Viktor (um 189 – 199) wegen des Osterfeststreits, in dem er für den Frieden zwischen den Teilkirchen eintrat. Er starb wahrscheinlich um oder kurz nach 200. Erst bei Gregor v. Tours taucht die Nachricht auf, er sei als Märtyrer gestorben, allerdings nennt schon Hieronymus ihn beiläufig martyr.

Schon die Kirchenväter spenden ihm hohes Lob. Papst Franziskus ernannte ihn am 21. Januar 2022 zum Kirchenlehrer und verlieh ihm den Titel Doctor unitatis, Lehrer der Einheit.

Das Hauptwerk

Die wichtigste Schrift des Irenäus trug ursprünglich wahrscheinlich den Titel Entlarvung und Widerlegung der falschen Gnosis, wird heute aber meist als Adversus haereses zitiert. Sie war auf Griechisch verfasst, aber vollständig besitzen wir nur eine wortgetreue lateinische Übersetzung. Größere Teile wurden aber auch auf Griechisch bei anderen Kirchenvätern überliefert.

Irenäus will dem ungenannten Adressaten das gnostische System des Ptolemäus darlegen, der zur Schule Valentins gehörte. Im 1. Buch stellt Irenäus dieses System dar, stellt ihm einen Abriss der Kirchenlehre gegenüber und gibt dann einen Überblick über die Geschichte des Gnostizismus, der für ihn auf den in Apg 8 genannten Simon Magus zurückgeht. Nach dieser „Entlarvung“ folgt in den nächsten Büchern die „Widerlegung“, und zwar im 2. Buch aus der Vernunft, im 3. aus der Tradition und der Lehre der Apostel und im 4. aus Aussprüchen des Herrn, wozu auch Prophetenstellen des AT gehören. Das 5. Buch handelt von den Letzten Dingen, besonders von der Auferstehung des Fleisches.

Im gnostischen System des Ptolemäus gibt es in unsichtbaren Höhen einen vollkommenen und präexistenten Äon (ein Geistwesen), den sogenannten Uranfang, Urvater oder Abgrund. Er ist ewig und ungezeugt. Mit ihm zusammen ist Ennoia (Gedanke), die die Gnostiker auch Charis (Gnade) und Sige (Schweigen) nennen. Durch Emanantion aus dem Uranfang entstehen zunächst 30 Äonen, die die eigentliche Wirklichkeit bilden. Die Gnostiker behaupteten, Jesus habe 30 Jahre lang im Verborgenen gelebt, um auf diese 30 Äonen hinzuweisen. Zur Entstehung der Materie sei es gekommen, als zwei Äonen außerhalb des Lichtreichs in die Regionen von Schatten und Finsternis gerieten. Alles Wasser komme von den Tränen des Äons, alles Licht von seinem Lachen.

Diesem Unsinn, den aber damals einige für große Weisheit hielten, stellt Irenäus die Lehre der Kirche entgegen, die ihre Glaubenslehren von den Aposteln und deren Schüler empfangen hat und in der ganzen Welt einheitlich bewahrt:

„Die Kirche erstreckt sich über das ganze Weltall bis an die äußersten Grenzen der Erde. Sie hat von den Aposteln und ihren Schülern den Glauben empfangen, den Glauben an den einen Gott, den allmächtigen Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde. … Diesen Glauben bewahrt die Kirche, wie sie ihn empfangen hat, obwohl sie, wie gesagt, über die ganze Welt zerstreut ist, sorgfältig, als ob sie in einem Hause wohnte, glaubt so daran, als ob sie nur eine Seele und ein Herz hätte, und verkündet und überliefert ihre Lehre so einstimmig, als ob sie nur einen Mund besäße.

Und wenngleich es auf der Welt verschiedene Sprachen gibt, so ist doch die Kraft der Überlieferung ein und dieselbe. Die in Germanien gegründeten Kirchen glauben und überliefern nicht anders als die in Spanien oder bei den Kelten, die im Orient oder in Ägypten, die in Libyen oder in der Mitte der Welt. … Der größte Redner unter den Vorstehern der Kirche kann nichts anders verkünden, … und auch der Schwachbegabte wird nichts von der Überlieferung weglassen. 

Es ist nur ein und derselbe Glaube, ihn kann nicht vermehren, wer viel versteht zu reden, nicht vermindern, wer wenig spricht.“ (Adv. haer. I, 10,1-2)

Schwerpunkte seiner Theologie

Irenäus beschreibt die Erlösung als Rekapitulation: Christus fasst als neuer Stammvater die ganze Menschheit in sich zusammen, durchdringt und heiligt sie. 

Dadurch ist sie ein neues Geschlecht, das von Tod und Teufel erlöst ist. 

Dies geschieht sowohl durch die Menschwerdung als solche, durch die die Menschheit in eine geheimnisvolle Gemeinschaft mit Gott gesetzt wird, als auch durch einzelne Heilstaten, vor allem durch Tod und Auferstehung. 

Bei einseitiger Auslegung würden hier Leiden und Tod Christi ihre entscheidende Bedeutung für die Erlösung verlieren. Irenäus tut das jedoch nicht, denn er schreibt: „Ein und derselbe ist Christus Jesus, der Sohn Gottes, der durch sein Leiden uns Gott versöhnt hat“ (Adv. haer. III,18,1). 

Ebenso schreibt er: „Denn er löste den Ungehorsam des Menschen, der am Anfang am Holze geschehen war, auf, indem er für uns gehorsam wurde bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz und so den am Holz geschehenen Ungehorsam durch Gehorsam heilte ... Im ersten Adam haben wir alle gesündigt, da wir nicht sein Gebot hielten. 

Im zweiten Adam aber sind wir versöhnt worden, indem wir gehorsam bis zum Tod wurden.“ (V,16,3)

An den letzten beiden Sätzen sieht man auch, dass Irenäus die Erbsünde bezeugt. Die ersten Menschen, die nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen waren, haben durch die Sünde ihre Gleichnishaftigkeit verloren, Christus hat sie aber wiederhergestellt. (V,16,2)

Auch die Antithese Eva – Maria findet sich erstmals bei ihm. Die Jungfrau Eva war ungehorsam und hat „durch ihren Ungehorsam für sich und das gesamte Menschengeschlecht den Tod verschuldet“. 

Die Jungfrau Maria wurde dagegen „durch ihren Gehorsam für sich und das gesamte Menschengeschlecht die Ursache des Heils“. (III,22,4)

Irenäus bezeugt ebenso die Kindertaufe, indem er auch die Säuglinge und kleinen Kinder unter denen aufzählt, die durch Christus wiedergeboren werden (II,22,4).

Über die Eucharistie schreibt er: 

„Als er (Christus) deshalb die Gabe des Brotes nahm, sagte er Dank und sprach: ‚Das ist mein Leib’. Und ähnlich bekannte er den Kelch, der aus dieser irdischen Schöpfung stammt, als sein Blut und machte ihn zur Opfergabe des Neuen Bundes, so dass ihn die Kirche, wie sie ihn von den Aposteln empfangen hat, auf der ganzen Welt Gott darbringt“ (IV, 17,5).

Auf dieses Opfer wendet er die Prophetie von Mal 1,11 an und betont, dass die Opfer mit dem Neuen Bund nicht aufgehört, sondern sich nur verändert haben: „Der Opfergedanke ist nicht verworfen worden, denn Opfer sind hier wie da, Opfer in der Synagoge, Opfer in der Kirche – nur die Art und Weise der Opfer hat sich geändert“ (IV,18,2).

Schließlich hebt Irenäus noch die Bedeutung der römischen Kirche hervor, die er die „besonders große und besonders alte“, „in aller Welt bekannte und von den beiden hochberühmten Aposteln Petrus und Paulus gegründete und organisierte“ nennt, indem er die Liste ihrer Bischöfe bis in seine Zeit angibt (III,3,2-3).