Die Grundsatzerklärung von 1974 – Interview mit Pater Franz Schmidberger

Quelle: Distrikt Deutschland

Mitteilungsblatt (MB): Herr Pater Schmidberger, Sie haben die apostolische Visitation des Seminars in Ecône 1974 und die darauffolgende Grundsatzerklärung von Erzbischof Marcel Lefebvre miterlebt. Wie war das damals?

Pater Franz Schmidberger: Wir wurden eines Montags vom Erzbischof in den Vortragssaal in Ecône gerufen. Er erklärte uns dann, dass eine Visitation anstehe, die Herren im Ordinariat in Sitten wohnen, aber tagsüber zu uns kommen würden. Und dann sind die auch alsbald eingetroffen. 

MB: So plötzlich kamen sie? 

P. Schmidberger: Ich kann nicht sagen, ob der Erzbischof schon länger davon wusste oder ob er auch erst kurz zuvor davon erfahren hat. Jedenfalls kamen dann zwei belgische Prälaten, Erzbischof Descamps und Monsignore Onclin, die den Erzbischof, sämtliche Professoren sowie eine Auswahl der Seminaristen nach allem möglichen, den Studien, dem Geist des Seminars etc. befragten. Entscheidend ist aber, dass sich diese beiden Prälaten im Rahmen der Visitation merkwürdig geäußert haben: der Zölibat werde fallen oder stünde zumindest zur Disposition; die Wahrheit sei nicht absolut, sondern könne sich auch ändern; die leibliche Auferstehung Christi sei nicht so ganz sicher. Das hat dann natürlich die Runde gemacht. Die Prälaten haben dann zwar gesagt, dass sie mit der Visitation recht zufrieden seien, haben aber kein Protokoll hinterlassen, was eigentlich üblich ist. All das hat den Erzbischof stark verärgert. 

MB: Und dann ist er nach Rom gefahren? 

P. Schmidberger: Genau. Er wollte die Dinge dort ansprechen. Am Abend des 21. November hat er in Rom dann die Grundsatzerklärung ausgearbeitet. Als er zurückgekommen ist, hat er uns diese Erklärung vorgelesen. Und noch bevor er zum Ende gekommen ist, haben die Seminaristen zu applaudieren begonnen, so groß war die Begeisterung. 

MB: Waren nicht auch manche besorgt, es könne eine harte Reaktion aus Rom geben? 

P. Schmidberger: Doch, die gab es auch. Aber der größte Teil, inklusive mir selbst, war begeistert. Die Grundsatzerklärung hat genau den Geist getroffen, weshalb wir zwei Deutschen (Klaus Wodsack und ich) 1972 ins Seminar eingetreten sind. Allerdings hat der kürzlich dahingeschiedene Bischof Tissier de Mallerais in seinen Vorträgen darauf hingewiesen, dass er nicht applaudiert habe – nicht, weil er mit der Erklärung nicht einverstanden gewesen wäre, sondern weil er eben eine heftige Reaktion aus Rom befürchtete. 

MB: Und die kam ja dann auch.

P. Schmidberger: Ganz genau. Der Erzbischof wurde daraufhin zwei Mal nach Rom einbestellt. Das kann man als direkte Reaktion sehen. Die Gespräche mit drei Kardinälen glichen nach Darstellung des Erzbischofs mehr einem Tribunal. Um die Visitation ging es gar nicht mehr, nur noch um die Grundsatzerklärung. Einer der anwesenden Kardinäle hat dem Erzbischof sogar an den Kopf geworfen, er sei verrückt und spiele sich als zweiter Athanasius auf. Das zeigt ja schon sehr deutlich, welches Klima dort herrschte. Dabei war die Grundsatzerklärung eigentlich gar nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, sondern eher intern. Durch einen befreundeten Pater ist sie an die Öffentlichkeit geraten und wurde dann als sensationelle Kriegserklärung an den Konzilsgeist aufgefasst. 

MB: Also war sie ursprünglich mehr als eine Art Positionspapier gedacht? 

P. Schmidberger: So könnte man das sagen. Aber nicht nur das. Ich denke, es war auch eine Art des Selbstzeugnisses. Uns Seminaristen hat der Erzbischof dann gesagt, wenn es wirklich nur um die Grundsatzerklärung ginge, dann müssten sie ihn als Person angreifen und nicht die Bruderschaft. Tatsächlich hat aber der Ortsbischof Pierre Mamie aus Rom die Erlaubnis erhalten, die Priesterbruderschaft aufzuheben. 

MB: Manche sehen in der Grundsatzerklärung sedisvakantistische Tendenzen, die zwischen echter und offizieller Kirche unterscheiden. 

P. Schmidberger: Die sieht nur, wer sie auch sehen möchte. Das ist völliger Unsinn. In Wirklichkeit ist die Grundsatzerklärung ganz klar und ein starkes Bekenntnis zu Rom. So fängt sie ja auch schon an. Es handelt sich dabei auch nicht um ein kirchenrechtliches Papier, sondern um ein geistesgeschichtliches. Der Erzbischof zeigt Tendenzen auf, die in die Irre führen und eine große Gefahr für die Kirche darstellen. Davor warnt er in aller Deutlichkeit und er weist darauf hin, dass das Heil der Kirche darin besteht, zu ihrer Tradition zurückzukehren beziehungsweise ihr treu zu bleiben. 

MB: Andere Kritiker sehen darin auch protestantische Züge, indem der Erzbischof sein eigenes Urteil über alles setzt. 

P. Schmidberger: Das ist ja ein konstanter Vorwurf gewesen. Wie könne man den Papst verteidigen, wenn man den Papst angreift? Also diese bekannte Art der Dialektik. Diese Leute haben nicht verstanden, dass der Erzbischof Irrtümer des Papstes angreift, nicht das Papsttum – und darin auch einen fundamentalen Unterschied macht. Die Kritiker, die ihm solche Vorwürfe gemacht haben, waren einfach nicht auf der Höhe des Erzbischofs.

MB: Wenig später folgte dann eine große Wallfahrt nach Rom. Die stand sicher auch im Kontext der Grundsatzerklärung. 

P. Schmidberger: Natürlich stand das im Hintergrund. Aber der Erzbischof ist einfach darüber hinweggegangen. In Rom gab es dann aber doch auch einen merkwürdigen Zwischenfall. Der Erzbischof wollte – und hat es auch getan – in der Kirche Santa Maria Maggiore die hl. Messe zelebrieren. Dabei standen ihm zwei Monsignori zur Seite, die ihn zwingen wollten, die neue Messe zu lesen. Sie haben ihm einfach ein neues Messbuch vorgelegt und hatten kein altes bereit. Wir waren im Kirchenschiff unglaublich wütend auf die beiden. Aber der Erzbischof zelebrierte die alte Messe einfach auswendig. Das war damals ein echter Kampf um die alte Messe am Altar!

MB: Das ist unfassbar. Aber die Erlaubnis, die hl. Messe dort zu feiern, wurde doch gegeben? 

P. Schmidberger: Ja, so ist es. Der Erzbischof hat auch an anderen Orten in Rom zelebriert, beispielsweise in einer Katakombe. Da gab es damals noch keine Schwierigkeiten. Auch die Prozessionen fanden alle ganz regulär statt. 

MB: Kann man die Grundsatzerklärung vielleicht auch im Sinne des hl. Ignatius von Loyola sehen, der ja bei seiner Unterscheidung der Geister dazu rät, in Zeiten großer Wirrnis keine Änderungen vorzunehmen, sondern klar beim Althergebrachten zu bleiben?

P. Schmidberger: Ja, das ist die Beharrlichkeit bei den festen Grundlagen. 

MB: Wie hat der Erzbischof die Erklärung im Nachhinein gesehen? 

P. Schmidberger: Er hat die Erklärung wohl in großer Erregtheit geschrieben – in einem Zug, wie es immer heißt. Aber er hat gesagt, selbst wenn er sie nochmal schreiben würde, er würde vielleicht andere Worte wählen, aber inhaltlich bliebe sie exakt dasselbe. Die Erklärung ist von außergewöhnlicher Klarheit, sie benennt die großen Herausforderungen, vor denen die Kirche und ihre Gläubigen stehen. Dafür müssen wir dem Erzbischof bis heute unendlich dankbar sein. 

Pater Franz Schmidberger

Pater Franz Schmidberger

Pater Franz Schmidberger wurde am 19. 10. 1946 in Deutschland geboren. Er war von 1983 bis 1994 der Generaloberer der Priesterbruderschaft und hat sich immer für die traditionelle katholische Lehre und Liturgie eingesetzt - bis heute!

Erinnerungen - Vom Bauernbub zum Generaloberen (Pater Franz Schmidberger)