
Vom 25. bis 29 Mai 2022 findet in Stuttgart der Katholikentag statt. Pater Stefan Pfluger ist Oberer des deutschen Distrikts der Priesterbruderschaft St. Pius X. Als Distriktssitz dient das Priorat St. Athanasius in Stuttgart Feuerbach, das große Zentrum für die überlieferte Liturgie in der Region. Das MB führte mit ihm ein Kurzinterview zum Katholikentag.
MB: Herr Pater, gehen Sie zum Katholikentag?
Pater Stefan Pfluger: Wenn es sich machen lässt, vermeide ich Schmerzen. Der Besuch beim Katholikentag wäre schmerzlich. Was soll ich als katholischer Priester auf einer Veranstaltung, deren Ausrichtung eher evangelisch als genuin katholisch ist?
MB: Der Katholikentag stellt sich in eine große und lange „Tradition“. Es sei der 102. dieser Art in 170 Jahren. Besteht die Inanspruchnahme der Geschichte zu Recht?
Pater Stefan Pfluger: Wenn man meint, sich in eine geschichtliche Kontinuität stellen zu dürfen, dann richtet einen die Geschichte auch. Ich lese Ihnen mal vor, was im „Katholischen Volks-Katechismus“ von 1927 – also aus der „Hochphase“ der Katholikentage – steht. Der Leser urteile selbst:
Generalversammlungen halten die Katholiken Deutschlands seit 1848 alljährlich ab. … Bei solchen Versammlungen sind die Teilnehmer zuweilen heftigen Angriffen und Verfolgungen der Kirchenfeinde ausgesetzt. … Die Katholiken-Versammlungen nehmen keineswegs Anteil an der Leitung der Kirche, sondern unterstützen nur die Leiter der Kirche. Nur die Bischöfe sind berufen, die Kirche zu regieren. Daher galt den Veranstaltern der Katholiken-Versammlungen jederzeit der Ausspruch des hl. Ignatius von Antiochien: ‚Nichts geschehe ohne den Bischof.‘ Sie versichern sich daher zunächst der Gutheißung des Segens des Papstes und der Bischöfe. Auch haben sich diese Versammlungen nie in die Leitung kirchlicher Angelegenheiten eingemischt. Sie waren lediglich Werkzeuge zur Vollziehung christlicher Grundsätze. Truppen, die die Bischöfe unterstützen. Deswegen haben die Bischöfe jederzeit die Katholiken-Versammlungen begünstigt und daran teilgenommen.
Die Katholiken-Versammlungen brachten der Kirche einen großen Nutzen. Sie gründeten zeitgemäße Vereine, förderten die Eintracht, den Mut und die religiöse Überzeugung der Katholiken, hoben das Ansehen der Kirche und befreiten sie immer mehr von ihren Fesseln. … Auf den Katholiken-Versammlungen wird Steinchen für Steinchen vom Tempel des modernen Heidentums abgebröckelt, auf dass dieser Tempel zusammenstürze, damit an Stelle dessen eine herrliche Basilika aufgebaut werde.
Vergleichen Sie das mit der Wirklichkeit heute!
MB: Die Veranstalter erwarten nach eigenen Worten „zehntausende Katholik:innen und Gläubige aller Konfessionen und vieler Religionen aus Deutschland, Europa und der Welt.“
Pater Stefan Pfluger: Hier hat man im Kern das Selbstverständnis ausgedrückt: Genderideologie, Ökumenismus und Interreligion als neue Formen der „Völksfrömmigkeit“. Dabei muss ich an das Gleichnis mit dem gereinigten und geschmückten Haus denken. Wenn der böse Geist das Haus leer findet, nimmt er sieben andere Geister mit sich, die schlimmer sind als er. Was meine ich damit? – Im Denken gibt es kein Vakuum. Wenn die christlichen Ideen schwinden, treten Ideologien an ihren Platz.
Die geringen Teilnehmerzahlen – im Vergleich zu den Glaubenskundgebungen früherer Zeiten – sprechen eine deutliche Sprache. Der Modernismus mag die Zustimmung der kirchenfernen und kirchenfeindlichen Kräfte haben, aber im Grunde ist er ist ein Potemkinsches Dorf. Der Journalist Ingo Langner sagte es vor kurzem in einem Interview in der Zeitschrift Kirchlichen Umschau: „Nehmt ihnen die Kirchensteuer weg, dann ist der Spuk bald zu Ende.“
MB: 1.500 Veranstaltungen finden an fünf Veranstaltungstagen statt. Wenn wir mal im Stichwortverzeichnis des Programms nachschauen, ist man als traditionstreuer Katholik erschüttert.
Pater Stefan Pfluger: „Zeitgeistbetrunken“ – mit diesem Wort könnte man das Ganze zusammenfassen. Man hat nach der Lektüre den Eindruck, es handelt sich um eine andere Religion. Der deutsche Teil der katholischen Kirche ist tatsächlich bereits im Schisma. Von der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche ist nicht mehr viel zu sehen. Die Kennzeichen der Kirche sind zwar noch da, aber kaum mehr zu erkennen, ähnlich wie man bei einem beschmutzten Geldschein, an welchem man die Sicherheitsmerkmale nur noch schlecht erkennen kann.
In der Frühzeit der Katholikentage wurde oft die Freiheit der Kirche von staatlichen Eingriffen gefordert, die heutigen Forderungen sind pure Anbiederung an den Zeitgeist. Die große Frage bleibt: Wer soll all die Skandale sühnen?
MB: Stuttgart liegt in der 1928 vom Heiligen Stuhl gegründeten Diözese Rottenburg-Stuttgart, die mit gut 1,8 Millionen Seelen in gut 1000 Gemeinden das viertgrößte Bistum in Deutschland ist. Was ist aus dem katholischen Württemberg geworden?
Pater Stefan Pfluger: Entschuldigen Sie diesen kurzen Ausflug in die Geschichte: Das Gebiet des alten Herzogtums Schwaben, auf dem heute Württemberg liegt, war im Mittelalter das klosterreichste Land im Reich und wurde „des heiligen Reiches Klostergasse“ genannt. Seither ging viel verloren.
Die Reformation entvölkerte die Klöster und zerstörte viel vom religiösen Leben. Einer der Hauptverantwortlichen für die Einführung der „Reformation“ in unserer Gegend war Herzog Ulrich (1498-1550) von Württemberg. Er „reformierte“ sein Land, allerdings nicht aus religiösen, sondern aus rein politischen Gründen. Wegen Zügellosigkeit, Gewalttätigkeit, Misswirtschaft und Landfriedensbruch, war der Schwäbische Bund (Zusammenschluss der freien Reichsstädte Schwabens) in Württemberg einmarschiert. Ulrich weilte seit 1519 in der Verbannung. Landgraf Philipp von Hessen eroberte 1534 für Ulrich Württemberg wieder zurück – verlangte für diesen Dienst aber, dass Ulrich in seinem Land die Reformation einführte.
Seither ist Württemberg Diaspora. Die meisten Katholiken der Diözese leben in den Gebieten, die im 19. Jh. zu Württemberg geschlagen wurden, in Oberschwaben oder in den ehemals habsburgischen Gebieten. V
or dem Zweiten Weltkrieg lebten 36 % Katholiken in der Diözese Rottenburg. Nach dem Krieg wuchs die Zahl. Seit dem Jahr 2000 sind die Katholiken in der Diözese von 41 % auf 28 % zurückgegangen!
MB: In Stuttgart unterhält die Bruderschaft im Stadtteil Feuerbach ein Priorat mit einer neugebauten Kirche im Barockstil. Architektural ist das schon ein Gegenentwurf zum Neukatholizismus der „Deutschsynodalen“, der sich in der Innenstadt zum Katholikentag trifft. Wird das Priorat ein Alternativprogramm bieten?
Pater Stefan Pfluger: Sagen wir es in einem Satz: Im Priorat Sankt Athanasius gibt es die heiligmachende Gnade! Mit Veranstaltungen können wir nicht dienen. Das Gegenteil einer Revolution ist nicht die Anwendung revolutionärer Methoden unter anderen Vorzeichen, sondern die Treue. Hier gibt es keinen Aktivismus. Wir springen nicht über das Stöckchen, das die Modernisten uns hinhalten. In unseren Prioraten finden Sie aber alles, was sie in jeder katholischen Pfarrei finden müssten: Das Heilige Messopfer und alles, was daraus fließt.
MB: Nach Meinung aufmerksamer Beobachter ist der Katholikentag der Auftakt für schwere innerkirchliche Verwerfungen, die bei der letzten Vollversammlung des „Synodalen Wegs“ vom 8.-10. September 2022 ausbrechen dürften. Was ist ihre Prognose?
Pater Stefan Pfluger: Historia magistra vitae. Die Geschichte ist die Lehrmeisterin des Lebens. Schauen Sie in die Reformationsgeschichte und Sie sehen, wir stehen in einer Zeit einer neuen Glaubensspaltung. Da braucht es keine prophetische Gabe.
Der Glaubensverlust wird immer sichtbarer, auch für die noch rechtgläubigen Gläubigen und Priester. Wenn die Beschlüsse des synodalen Wegs in den Pfarreien umgesetzt werden, werden diese Gläubige und Priester die Gemeinden verlassen.
In dieses Ringen um die Bewahrung des apostolischen Glaubens in unserem Vaterland sind wir gestellt. Es braucht in dieser Situation der Kirche keine lauen Katholiken und Mitläufer, sondern Männer und Frauen des Gebetes, der Tugenden und der festen Überzeugungen. Wir brauchen heilige Priester. Ich empfehle allen ratlosen Katholiken, die sich dies Frage stellen, wie es wieder besser werden kann, die Teilnahme an wirklich katholischen Exerzitien nach dem authentischen Geist des hl. Ignatius. Erst einmal müssen wir uns selbst erneuern und uns disponieren, den Willen Gottes zu tun.
MB: Danke für das Gespräch.