Gezielte Fehlinformationen und falsche Anschuldigungen (1)

01. Juni 2022
Quelle: fsspx.news
Residential Schools

Die Todesumstände von 215 vermutlichen Internatsschülern im kanadischen British Columbia müssen belastbar aufgeklärt werden. Doch eine politische Instrumentalisierung der tragischen Todesumstände und aus der Luft gegriffene Beschuldigungen helfen nicht weiter. Diese Artikelserie soll Licht ins Dunkel der medial verbreiteten Vorverurteilungen bringen und die Umstände so darstellen, wie sie wirklich gewesen sind. Ist die Kirche wirklich schuldig am Tod der Kinder der kanadischen Ureinwohner? Nein …

Ende Mai 2021 meldet Radio-Canada: „Die vergrabenen Überreste von 215 Kindern wurden auf dem Gelände eines ehemaligen Eingeborenen-Internats in Kamloops, British Columbia, gefunden, eine Entdeckung, die herzzerreißend, aber nicht überraschend ist.“ Die Zuweisung der Überreste war am Wochenende zuvor mit Hilfe eines Spezialradars bestätigt worden, wie Rosanne Casimir, Häuptling der First Nation Tk'emlups te Secwépemc, der Presse mitteilte.  

Radio Canada sendete weiter: „Die nationale Chefin der Versammlung der First Nations, Rose-Anne Archibald, erklärte später, dass die „Kleinen“, deren Grabstätten entdeckt wurden, ein Recht auf Gerechtigkeit haben. „Sie müssen auch namentlich genannt werden und feierlich oder physisch in ihr Heimatland zurückgebracht werden“, sagte sie. „Jemand muss für den Tod unserer Kinder angeklagt werden“, fügte sie hinzu.“ Radio-Canada schließlich:

Die Kirche hat zweifellos falsch gehandelt, als sie eine kolonialistische Regierungspolitik umsetzte, die unter Kindern, Familien und Gemeinden Verwüstungen anrichtete, schrieb Erzbischof Michael Miller im Namen seiner Erzdiözese Vancouver, der vor der Gründung der gleichnamigen Diözese für die Region Kamloops zuständig war.

Mit diesem Beitrag initiierte Radio Kanada brutale Angriffe auf die katholische Kirche. Bis zum 24. September 2021 wurden 68 überwiegend katholische Kirchen in ganz Kanada verwüstet, in Brand gesteckt oder geschändet, insbesondere das Juwel des Kulturerbes, die Kirche St. Johannes der Täufer in Morinville, in der Nähe von Edmonton, Alberta. Premierminister Justin Trudeau plante angeblich, kanadische Flaggen auf Bundesgebäuden zu Ehren der toten Internatsschüler auf halbmast zu lassen, bis die indigenen Gemeinschaften und ihre Führer der Meinung seien, sie wieder hissen zu lassen. Delegierte des Papstes wurden am 28., 31. März und 1. April empfangen, um sich entschuldigen zu können. 

Doch neben den medial verbreiteten Vorfällen gibt es noch die wirklich unbequeme Wahrheit. Die offizielle Sicht der Dinge ist jedenfalls eindeutig verfälscht. Mit einem „Doppelbericht“ über und von Dr. Peter Bryce liegt ein erstes Dokument vor, das in aller Genauigkeit die Tatsachen nennt. Anlass des nun vorgelegten Berichts ist die sich 2022 zum hundertsten Mal jährende Veröffentlichung des Buchs „The Story of a National Crime: An Appeal of Justice to the Indians of Canada“ (Die Geschichte eines nationalen Verbrechens: Ein Aufruf zur Gerechtigkeit für die Indianer von Kanada), von Peter Bryce. Gegenstand des Berichts sind die bahnbrechenden Untersuchungen, die Bryce als Arzt mehrere Jahre im Auftrag des Ministeriums für Indianerangelegenheiten in 35 Internaten durchgeführt hatte. Seinerzeit bekleidete Peter Bryce den Posten des leitenden Hygienearztes im Gesundheitsministerium. Zuvor war er Beamter im Gesundheitsministerium von Ontario gewesen und hatte sich einen Ruf als Pionier auf dem Gebiet der öffentlichen Gesundheit und der Gesundheitspolitik in Kanada erworben.  

Porträt von Dr. Peter Bryce, hergestellt 1899 von Lancefields aus Ottawa. Bild mit freundlicher Genehmigung der Familie Bryce.

Im „Doppelbericht“ ist zu lesen: „Dr. Bryce legte seinen ursprünglichen Bericht 1907 vor: Report on the Indian Schools of Manitoba and the Northwest Territories (Bericht über die Indianerschulen in Manitoba und den Nordwest-Territorien). Darin beschrieb er detailliert die schlechten sanitären Bedingungen in den Internaten der Prärieprovinzen. […] Bereits damals empfahl er die Einrichtung von Krankenhäusern in den Reservaten oder in deren Nähe, um die alarmierend hohe Sterblichkeitsrate durch Tuberkulose zu bekämpfen. Diese Rate war damals fast zwanzigmal höher als diejenige, die bei nicht-indigenen Menschen verzeichnet wurde. Dr. Bryce setzte sich auch für eine Verbesserung der sanitären Bedingungen in den indianischen Internaten ein. 

[…] Der Bericht, den er 1907 veröffentlichte, enthüllte eine erschreckend hohe Sterblichkeitsrate in diesen Schulen. So hatte der Arzt festgestellt, dass 69% der Internatsschüler in der File-Hills-Kolonie in Saskatchewan während oder kurz nach ihrer Schulzeit gestorben waren, fast alle an Tuberkulose. Er war zu dem Schluss gekommen, dass diese Todesfälle auf schlechte sanitäre Bedingungen und mangelnde Hygiene zurückzuführen waren. Sein erster Bericht belegte eindeutig die direkte Verantwortung der Bundesregierung für die abscheulichen Lebensbedingungen.  

[…] Das Ministerium für Indianerangelegenheiten veröffentlichte den Bericht von Dr. Bryce aus dem Jahr 1907 nicht, aber sein Inhalt wurde an Journalisten weitergegeben, was dazu führte, dass im ganzen Land nach Reformen gerufen wurde. Trotz des öffentlichen Aufschreis wurden die Internate nicht geschlossen und die Empfehlungen von Dr. Bryce wurden weitgehend ignoriert. Der Minister für Indianerangelegenheiten, Duncan Campbell Scott, hatte nach dem Bericht von 1907 prompt reagiert und sogar die Finanzierung von Dr. Bryces Forschung eingestellt, da die Kosten für die Erhebung von Statistiken über den Tod von Kindern durch Tuberkulose den Nutzen der übermittelten Informationen bei weitem überstiegen.“ 

Doch Peter Bryce ließ sich von der „Untätigkeit der Regierung in der Frage der Gesundheit der Ureinwohner und über seinen Rauswurf aus dem Ministerium“ nicht aufhalten. 1922 veröffentlichte Bryce einen weiteren Bericht mit dem Titel The Story of a National Crime (Die Geschichte eines nationalen Verbrechens). Dazu heißt es im „Doppelbericht“:

Dies war der erste an die Öffentlichkeit verteilte Bericht über die Krankheits- und Sterblichkeitsraten in den Internaten, obwohl sein Autor nicht der einzige Arzt war, der gegen die Lebensbedingungen in den Internaten protestierte. […] Dr. Bryce hatte argumentiert, dass Minister Scott und die gesamte Abteilung für Indianerangelegenheiten die gesundheitlichen Bedürfnisse der Aborigines vernachlässigt hätten und prangerte eine „kriminelle Vernachlässigung der Versprechen der Verträge" an, die nicht eingehalten worden seien.

Doch das war noch nicht alles. Etliche Jahre später, im Jahr 2015 veröffentlichte Dr. Scott Hamilton von der Abteilung für Anthropologie der Lakehead University in Thunder Bay (Ontario) seinen Berichtvi mit dem Titel Where are the Children buried? Er geht in die gleiche Richtung wie die Berichte von Dr. Peter Bryce. Hinzu kam ein Artikel von Jacques Rouillard, emeritierter Geschichtsprofessor an der Universität Montreal, der Dinge am 6. Juli 2021 erneut zurechtrückte: „Wie in dem Bericht zu lesen ist, werden ‚Schulen als Motoren kultureller und spiritueller Veränderungen‘ betrachtet: Aus den ‚Wilden‘ sollen ‚christliche weiße Männer‘ werden. Um dies zu erreichen, entschied sich die Regierung für eine radikale, unmenschliche Methode: Jugendliche im schulpflichtigen Alter gegen ihren Willen aus ihren Familien zu reißen. Die Verantwortung für diese Tragödie liegt vollständig bei den aufeinanderfolgenden kanadischen Regierungen, die die Internate finanzierten, und nicht bei den Religionsgemeinschaften, die den vom Ministerium für indianische Angelegenheiten festgelegten Zielen für den Schulbesuch entsprachen. […] Es sei daran erinnert, dass sich viele Waisenhäuser in sehr abgelegenen Gebieten befinden. Da Leichen nicht lange aufbewahrt werden, wurden die Hälfte der Kinder, die in der Schule starben, auf dem angrenzenden Friedhof oder auf dem Friedhof der Gemeinde beerdigt, und ihre Gräber waren oft kaum markiert. […] Laut den Historikern Jim Miller und Brian Gettler, die ihre Forschungen auf die First Nations fokussiert haben, ‚wurden Holzkreuze dort aufgestellt, wo die Kinder auf Friedhöfen nach katholischem Ritus beerdigt wurden. Sie lösten sich natürlich schnell auf‘.“

Das Resümee des Dargestellten liegt auf der Hand, wenn zu lesen ist: „Es gibt keine Beweise für die Absicht, diese Gräber zu verstecken. Außerdem gibt es keinen Hinweis darauf, dass die auf diesen längst vergessenen Friedhöfen begrabenen Kinder an Misshandlung oder Vernachlässigung gestorben sind. Dies wird uns jedoch durch die Berichte in den Medien suggeriert. Die Geschichte der Internate ist in vielerlei Hinsicht herzzerreißend. Allerdings ist es auf der Grundlage der Fakten nicht vernünftig, die katholische Kirche und andere religiöse Organisationen, die die Internate betrieben, der Vernachlässigung der Kinder oder des unsensiblen Verhaltens ihnen gegenüber zu beschuldigen, was zu ihrem Tod geführt hat. Wenn es eine Schuld gibt, dann liegt sie beim Bundesministerium für indianische Angelegenheiten, das keine angemessene Finanzierung für die Internate, die Kinder und die Friedhöfe bereitgestellt hat. Den Medien zufolge ist diese kanadische Tragödie das Ergebnis des Versagens der katholischen Kirche und anderer religiöser Organisationen, was ein schlichtes antikatholisches Sektierertum darstellt. Es ist ein weiterer Versuch, den religiösen Glauben zu diskreditieren und die Religion aus dem öffentlichen Raum zu vertreiben. Die Internate sind das Werkzeug, das zu diesem Zweck eingesetzt wird.“

Fortsetzung folgt ... 

Porträt von Dr. Peter Bryce, das 1899 angefertigt wurde. Das Bild wurde freundlicherweise von der Familie Bryce zur Verfügung gestellt.