
Ein Interview des MITTEILUNGSBLATT mit dem Distriktoberen der USA, Pater Jürgen Wegner
Mitteilungsblatt: Pater Wegner, Sie sind Distriktoberer des US-amerikanischen Distrikts. Wie kommt man als deutscher Priester in die USA?
Pater Jürgen Wegner: Die Priesterbruderschaft ist eine Priestervereinigung nach dem Vorbild der Missionskongregationen. Ihre Mitglieder können darum jederzeit für eine Aufgabe außerhalb ihres Heimatlandes eingesetzt werden. Außer sechs Jahren in Diestedde führten mich alle meine Ernennungen ins Ausland: Holland, Belgien, Kanada und jetzt die Vereinigten Staaten. Das Generalhaus in Menzingen wählt die Priester, die es für eine Aufgabe im Ausland abordnen möchte. Derzeit sind mehre Priester aus Frankreich, Kanada und Deutschland im amerikanischen Distrikt tätig. In der Vergangenheit haben die deutschen Patres Johannes Grün, Wolfgang Göttler und Markus Heggenberger in diesem Distrikt gewirkt.
Mitteilungsblatt: Sie selbst stammen aus dem Schwarzwald?
Pater Jürgen Wegner: Das ist richtig. Dort bin ich geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen. Die Seminarzeit habe ich in Zaitzkofen und Ecône absolviert.
Mitteilungsblatt: Was ist die Aufgabe eines Distriktoberen?
Pater Jürgen Wegner: Der Distriktobere hat als Hauptaufgabe die Sorge für seine Priester. Diese Sorge beinhaltet den regelmäßigen Kontakt mit allen Priestern, die Sorge um ihre Weiterbildung und den Zusammenhalt der Priester im Distrikt. Mehr und mehr Diözesan- und Ordenspriester wenden sich an uns mit der Bitte um Hilfe oder gar mit dem Gesuch, nach einer Probezeit in die Priesterbruderschaft aufgenommen zu werden. Daneben trägt der Distriktobere die Verantwortung für die Organisation des Apostolates. Die Ernennungen der Priester, die Öffnung und Schließung von Häusern, die Förderung unserer Schulen und die Fortbildung der Lehrer sind die wesentlichsten Aufgaben. Daneben obliegt dem Distriktoberen die Organisation aller Kommunikationsmittel des Distrikts: Mitteilungsblatt, Webseite, Verlag. Der dritte große Aufgabenbereich des Distriktoberen ist die Verwaltung: Buchhaltung, alle rechtlichen Fragen und der Bau und Unterhalt der Kapellen, Schulen und Exerzitienhäuser.
Mitteilungsblatt: Die Hauptaufgabe des Oberen dürfte das Reisen sein. Die Entfernungen sind gewaltig.
Pater Jürgen Wegner: Die Vereinigten Staaten sind 28 Mal so groß wie Deutschland. Die geographische Ausdehnung beeinflusst viele Aspekte des Apostolats. Viele Priester legen am Wochenende lange Strecken im Auto zurück. Eine noch größere Anzahl der Priester fliegen jedes Wochenende, um zu ihrer Kapelle zu gelangen. Um ein Beispiel zu geben: Der Abstand zwischen Kansas City und unserer Kapelle in Cleveland, die Distanz, die Pater Markus Heggenberger jedes Wochenende zurücklegte, beträgt 1420 km, 14 Stunden Autofahrt (eine Richtung), oder 1,5 Stunden Autofahrt und 3 Stunden Flug. Im Durchschnitt bringen die meisten Priester wenigstens einen vollen Tag pro Woche auf der Straße oder im Flughafen zu. Dem Wunsch des Erzbischofs folgend kehren die Priester gerne in die Priorate zurück, um dort in der Gemeinschaft der Mitbruder die Woche zu verbringen und um im Priorat, in der Schule oder im Exerzitienhaus zu helfen. In den meisten amerikanischen Prioraten leben wenigstens vier Priester zusammen. Das größte Priorat ist St. Mary’s mit zwölf Priestern.
Mitteilungsblatt: Mittlerweile ist der US-amerikanische Distrikt der größte in der Priesterbruderschaft St. Pius X. Können Sie ein paar Zahlen nennen?
Pater Jürgen Wegner: Der amerikanische Distrikt zählt derzeit 21 Priorate und 26 Schulen und 105 Priester. Vor zwei Jahren ist das Seminar nach Virginia umgezogen, weil die Gebäude in Winona die Anzahl der Seminaristen nicht mehr fassen konnte. Im Moment sind fast 90 Seminaristen in Virginia in Ausbildung. Seit dem Umzug werden die ehemaligen Seminargebäude in Winona für die Ausbildung der Brüder der Priesterbruderschaft genutzt. Über zehn Brüder sind aktuell in Winona in der Ausbildung. Jeden Sonntag besuchen über dreißigtausend Gläubige die Messen in unseren Kapellen. Von diesen Gläubigen sind ungefähr 30% unter 12 Jahre alt, und mehr als 50% der Gläubigen sind unter 21. Der Distrikt sieht jedes Jahr ein weiteres Wachstum. Viele Neuankömmlinge bleiben nach ihrem ersten Besuch. Und jedes Jahr spenden die Priester über 600 Taufen und begleiten nur etwas mehr als 60 Beerdigungen.
Mitteilungsblatt: Wie würden Sie das „Spezifische“ des Apostolats in den USA beschreiben? Ist die Krise der Kirche hier stärker zu spüren?
Pater Jürgen Wegner: Das Apostolat in den Vereinigte Staaten ist ganz besonders. Die Amerikaner insgesamt sind sehr religiös. Viele besuchen regelmäßig eine christliche Gemeinde. Vielerorts sieht man mehrere Kirchgebäude in derselben Nachbarschaft, und jeder Amerikaner ist frei zu wählen, welche Konfession er besucht und welcher Gemeinschaft er angehören will. Die Amerikaner haben die ‚Wahl‘ zwischen mehr als 300 christlichen Denominationen. In diesem pluralistischen Klima ist es für traditionstreue Katholiken relativ leicht, einen Zufluchtsort für sich und ihre Familien in dieser fruchtbaren Kirchenkrise zu finden und sich für die Kapellen und den Dienst der Patres der Priesterbruderschaft St. Pius X. zu entscheiden.
In den Vereinigten Staaten wurde die Kirche in den letzten 20 Jahren besonders durch die Missbrauchsskandale erschüttert. Diese haben dem Ruf und Ansehen zu Recht sehr geschadet. Spricht man in den USA von der Krise der Kirche, dann denkt man zuallererst an eine Krise der Moral und nicht an eine doktrinelle Krise.
Diese Tatsache macht es uns – paradoxerweise – leichter, über die doktrinellen Probleme zu sprechen. Gerade diese Tatsache ist der Grund, warum die Autoritäten in diesem Land offener sind für die Argumente der Tradition.
Mitteilungsblatt: Das größte Priorat ist Saint Mary’s im US-Bundesstaat Kansas. Dort, im geographischen Mittelpunkt der USA, wird am 15. Juni das Neubauprojekt einer Kirche für St. Mary’s der Öffentlichkeit vorgestellt. Die 1979 abgebrannte Immaculata-Kirche, errichtet von den Jesuiten im 19. Jahrhundert, wird wieder aufgebaut. Der Immaculata ist die Bruderschaft geweiht.
Pater Jürgen Wegner: Erzbischof Marcel Lefebvre hat 1977 auf den Kauf des ehemaligen Jesuiten-Campus gedrängt, weil diese Gebäude im Herzen der USA liegen, weil von dort viele Missionare ausgegangen sind, weil dort in der Vergangenheit über 1000 Priester geweiht wurden, und vor allem, weil dieser Ort von Anfang an der Immaculata geweiht war. Zum Zeitpunkt des Kaufes war St. Mary’s eine völlig unbedeutende Kleinstadt im Herzen des Landes. Jetzt leben dort über 4000 Gläubige, besuchen über 900 Kinder die Schule und wirken dort zwölf Priester. Nach 40 Jahren unserer Präsenz und fast zwei Jahren sorgfältiger Vorbereitung wird in diesem Monat das erste Konzept der neuen Immaculata-Kirche der breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Die Kirche im romanischen Stil soll über 1500 Sitzplätze anbieten, eine ausreichende Anzahl von Parkplätzen und direkten Zugang zum eigenen Friedhof.
Mitteilungsblatt: Das Schulapostolat der Bruderschaft hat sich in den letzten Jahren stark entwickelt. Welche Bedeutung haben die Schulen für den Distrikt?
Pater Jürgen Wegner: Der Distrikt unterhält insgesamt 26 Schulen. Die Schule in St. Mary’s ist mit über 900 Schülern mit Abstand die größte im Distrikt. Mehrere Schulen unterrichten zwischen 150 und 250 Schüler. Die kleinsten Schulen haben 40 Schüler und mehr. Diese Schulen fordern große Opfer von den Eltern, den Priestern und den Gläubigen insgesamt. Sie verschlingen große Summen unserer Mittel. Der Großmut der Gläubigen, Eltern und Lehrer ist bewundernswürdig. Viele Familien geben alles auf, um zu einer Schule zu ziehen und die Erziehung ihrer Kinder zu gewährleisten. Viele Lehrer leisten Großartiges.
Diese Opfer zeigen ihre Früchte in den zahlreichen Berufungen. In den letzten Jahren zählte der Distrikt jeweils über 20 Eintritte im Seminar und eine große Anzahl Berufungen für die Schwestern der Priesterbruderschaft, aber auch für die Franziskanerinnen, die Benediktinerinnen, die Dominikanerinnen, die Trösterinnen des Herzens Jesu mit ihrem Waisenhaus in Indien.
Viele Ehen entstammen dem guten katholischen Umfeld, das die Schulen und Priorate bieten.
Mitteilungsblatt: Das Predigen von Exerzitien, vor allem der ignatianischen Exerzitien, ist eine der wichtigen seelsorglichen Angebote der Bruderschaft. Wie sind Ihre Erfahrungen damit in den USA?
Pater Jürgen Wegner: Der Distrikt unterhält drei Exerzitienhäuser in drei Regionen der Staaten, in Ridgefield, Phoenix und Los Gatos, wo wenigstens einmal im Monat ein Exerzitienkurs gepredigt wird. Verschiedene Priorate organisieren ihre eigenen Exerzitien, für die sie Räumlichkeiten mieten, um ihren Gläubigen die Reisekosten und die Reisezeit zu ersparen. Der Distrikt bietet verschiedene Exerzitienkurse an: marianische Exerzitien, Exerzitien für Ehepaare oder unterschiedliche thematische Exerzitien. Die ignatianischen Exerzitien sind jedoch die, die nach der Erfahrung der Kirche, einen tiefen und festen Grund legen. Die Päpste haben sie vielfach empfohlen. Sie sind ein starkes Mittel der Bekehrung und ein Mittel der Vertiefung des Glaubens ohnegleichen. Insgesamt werden den Gläubigen im Distrikt jedes Jahr fast 50 Exerzitienkurse angeboten.
Mitteilungsblatt: Als Distriktoberer sind Sie für die Kontakte mit den Diözesanbischöfen verantwortlich. Sie sind in den letzten Jahren mit einer nicht geringen Zahl von Ordinarien zusammengetroffen. Wie ist Ihr Eindruck?
Seit der Veröffentlichung des Dokumentes der Glaubenskongregation bezüglich der Delegation für Eheschließungen von Gläubigen der Priesterbruderschaft sind wir dem Wunsch der Kongregation gefolgt und haben die Ortsbischöfe um die Delegation für unsere Eheschließungen gebeten. Inzwischen steht die Priesterbruderschaft in den USA in regelmäßigem Kontakt mit über 50 Diözesen. Nur zwei Bischöfe haben uns die Delegation für unsere Priester verweigert. Viele Bischöfe waren überrascht über die Früchte der Arbeit der Priesterbruderschaft: volle Kirchen, regelmäßiger Sakramentenempfang, besonders der Empfang der Beichte, Katechismusunterricht, wachsende Schulen, eine große Anzahl von Familien, Kindern und Jugendlichen. Ich bin viel gereist und habe das persönliche Gespräch mit den Autoritäten gesucht. Vor unserem Besuch sahen die Bischöfe in der Priesterbruderschaft lediglich eine Gemeinschaft von Priestern, die das Konzil kritisiert und sich weigert, die Neue Messe zu zelebrieren. Von Anfang an gab es einige Bischöfe, die uns in der Kontaktaufnahme unterstützt und uns Brücken gebaut haben. Eine ganze Reihe von Bischöfen hat seither die Priesterbruderschaft und die Tradition „entdeckt“.
Ein Erzbischof hat anlässlich einer Konferenz von Weihbischof Athanasius Schneider alle traditionellen Priester in seiner Diözese zu einem gemeinsamen Abendessen in seiner Residenz eingeladen. Zwei unserer Priester waren unter den Gästen. Sowohl der Erzbischof als auch Bischof Schneider haben allen traditionellen Priestern ganz deutlich gesagt, dass sie Erzbischof Marcel Lefebvre und den Priestern zu Dank verpflichtet sind, und dass sie ohne die Priester der Priesterbruderschaft und ohne den Mut des Erzbischofs niemals in der Lage wären, heute die traditionelle Messe zu lesen.
Einige kleine Beispiele: Inzwischen hat einer der amerikanischen Erzbischöfe in seinem Diözesanblatt seinen Gläubigen verkündet, dass er den Priestern der Priesterbruderschaft die Delegation für die Eheschließung gegeben hat, und er hat seine Gläubigen in der Diözese aufgerufen, an den Eheschließungen der Priesterbruderschaft teilzunehmen. Einige Bischöfe erwägen, uns direkt und offiziell Kirchen und Schulen zum Kauf anzubieten oder uns diese Gebäude zur Verfügung zu stellen. Am Guten-Hirten-Sonntag wurde die Messe mit den Seminaristen und den Priestern des Seminars und dem ganzen Priorat in Syracuse mit Zustimmung in einem großen diözesanen Gotteshaus gefeiert.
Mehr und mehr Bischöfe anerkennen die positiven Früchte der Tradition, und einige Bischöfe nehmen ganz klare Positionen ein. Einer der Bischöfe hat alle seine Seminaristen verpflichtet, die Zelebration der Alten Messe zu lernen, ein anderer hat uns klar gesagt, dass die Erneuerung der Kirche nur möglich ist durch das Studium des heiligen Thomas von Aquin und die Zelebration der Alten Messe.
Diese wenigen Beispiele geben einen guten Einblick in die Arbeit des amerikanischen Distrikts und zeigen die Vitalität der Tradition. Wir vertrauen den Distrikt und alle seine Anliegen der Gottesmutter an.
Mitteilungsblatt: Danke für das Gespräch.