
Am 2. Februar 1986 hielt Erzbischof Marcel Lefebvre in Econe eine Predigt. die wir aus aktuellem Anlass hier erstmals in deutscher Sprache veröffentlichen. "Die Kirche versteht sich als eine sichtbare und hierarchische Gesellschaft bestehend aus Klerikern und Laien. Anläßlich ihres Verlassens des Laienstandes und des Eintritts in den Priesterstand erinnert Monseigneur die Seminaristen daran, daß die Tonsur sie zu Mitgliedern dieser Familie macht, die die Priesterbruderschaft des Hl. Pius X. darstellt, um das Ziel des Priestertums zu erreichen, das sie anstreben und begehren."
[...] Die Kirche versteht sich als eine sichtbare, hierarchische Gesellschaft, die die aus Klerikern und Laien zusammengesetzt ist und heute wechseln Sie aus dem Stande der Laien in den Stand der Kleriker, das heißt, daß Sie von nun an ein Teil derer sind denen unser Herr durch einen besonderen Ruf besondere Gnaden schenken will, um Sie schon jetzt in einer gewissen Weise an seinem Priestertum teilhaben zu lassen. Dies ist der erste Schritt, den Sie tun werden und er ist sehr bedeutender. Leider sind heute diese schönen Zeremonien, denen wir jetzt beiwohnen, verschwunden und man fragt sich, ob in der modernen Kirche noch ein Unterschied zwischen einem Laien und einem Kleriker besteht. Aber die Kirche, in ihrer schönen Tradition, in ihrem Glauben bekennt, daß unser Herr seine Kirche auf seinem Priestertum begründet hat und daß er den Menschen, die er selbst ausgewählt und berufen hatte, die Gnade der Teilhabe an seinem Priestertum schenken wollte.
Die Tonsur und der Dienst an der Kirche
Durch die Tonsur, die Sie, meine lieben Freunde, empfangen werden, sind Sie gleichzeitig in eine Familie im Inneren der Kirche inkadiniert, das heißt eingeschrieben und eingebunden. Durch diese Tonsur erhält man eben die Inkardination und diese ist sehr wichtig. Die Juristen, die das kanonische Recht kommentieren, legen uns dar, daß diese Inkardination notwendig ist, weil die Priesterweihe, auf die in entfernterer Weise die Tonsur vorbereitet, nicht für die Person selbst bestimmt ist – es ist nicht ein persönliches Privileg, das Sie empfangen werden – sondern zum Dienst der Kirche. Wir sind zum Dienst der Kirche berufen, und deshalb verlangt die Kirche, daß der Priester an eine Diözese oder an eine religiöse Familie gebunden ist, oder an eine Gesellschaft, die als eine solche anerkannt wird. Daher können Sie sich ab heute wirklich als jemand bezeichnen, der in offizieller und öffentlicher Weise mit der Priesterbruderschaft St. Pius X. verbunden ist.
Sie sind Teil einer Familie
Die Priesterbruderschaft St. Pius X., die mit Schreiben der Kongregation des Klerus durch die Kirche öffentlich anerkannt wurde, kann in ihrem Schoß Kleriker inkardinieren, die die Absicht haben Priester zu werden. Demgemäß werden Sie wirklich Mitglieder einer Familie, die von der Kirche anerkannt ist. Ohne Zweifel haben die Umstände, in denen die von den Modernisten überwältigte Kirche sich befindet, gewollt, daß wir verfolgt werden und daß man uns anscheinend diesen Titel der Anerkennung, die uns von Rom verliehen worden war, entzogen hat.
Aber während man sowohl die kennt, die uns verfolgt haben als auch die Art, wie sie uns verfolgt haben, ist es klar, daß das nicht vom Geiste Gottes kommt, sondern daß diese Verfolgung vom teuflischen und dämonischen Geiste herrührt, der alle Tradition der Kirche völlig unterdrücken will, derart als würde die Kirche erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ihren Anfang nehmen. Aber wir wissen sehr gut, daß dem nicht so ist und daß wir durch diese kirchliche Anerkennung mit der Kirche aller Zeiten verbunden sind. Infolgedessen können Sie bei sich fest überzeugt sein, daß Sie Teil einer Familie sind.
Sie gehören zu dieser Familie, um das Ziel des Priestertums zu verwirklichen, nach dem Sie streben, nach dem Sie sich sehnen. Der hl Paulus sagt im Brief an die Hebräer: „Jeder Hohepriester wird aus den Menschen genommen und für die Menschen in ihren Angelegenheiten bei Gott bestellt. Er soll Gaben und Opfer für ihre Sünden darbringen“. Dies ist das Ziel, das wirkliche Ziel, nach dem Sie streben. So wie der Mensch zu Gott hingeordnet ist – homo ad Deum ordinatur sagt der heilige Thomas – so ordnet Sie Ihr ganzes Priestertum zu Gott hin und schenkt Ihnen die Gnaden, das Volk Gottes nach Gott selbst auszurichten.
Aber heute wird das Gegenteil behauptet – Gott sei für den Menschen da, Gott sei dem Menschen und nicht mehr der Mensch Gott zu Diensten – eine Umkehrung von allem, was unsere Größe und unsere Schönheit ausmacht, und was unsere Daseinsberechtigung und später unser Glück darstellt. Wir sind eben für Gott bestimmt, für Gott gemacht, zu Gottes Ruhm, zu seinem Dienst, zu Gottes Ehre. Seien sie davon überzeugt, meine Freunde.
Es ist sehr schwerwiegend für einen Priester, die Bruderschaft zu verlassen
Der heilige Paulus fügt auch hinzu, daß die, die berufen sind, sich nicht selbst erwählt haben: „Niemand darf die Würde an sich reißen, sondern er muß berufen werden“. Ihr werdet also gerufen und dieser Ruf stellt Eure Berufung dar, es ist nicht so sehr Euer persönlicher Wunsch. Euer persönliches Verlangen ist, würde ich sagen, wie eine Folge von Gottes Ruf. Der liebe Gott ruft Sie im Geheimen; Sie könnten jetzt die Geschichte Ihrer Berufung in Ihrem Geist noch einmal vorbeiziehen lassen und Sie werden sehen, daß es Gott war, der sie gerufen hat. Heute möchte er diesen Ruf öffentlich durch die Kirche wiederholen. In einigen Augenblicken werden Sie diesen Ruf mit den Worten beantworten: „Adsum, ich bin bereit. Ja, ich möchte mich Jesus Christus schenken, ich möchte unserem Herrn Jesus Christus anhangen, ich möchte ihm dienen“. Dieses Wort ähnelt ein wenig dem, das die heilige Jungfrau ausgesprochen hat, als der Engel ihr unterbreitete, Mutter Gottes zu werden. Da hat sie ihr fiat geantwortet. Heute morgen werden auch Sie ihr fiat aussprechen. So, meine lieben Freunde, bleiben Sie treu. Sicher gibt es Umstände, die nicht von ihrem Willen abhängen, Zeichen der Vorsehung, die Ihnen später im Seminar zeigen könnten, daß dies nicht Ihre Berufung ist; das ist immer möglich. Aber von Ihrer Seite ist es notwendig, daß Sie diesen festen Willen haben, dem Ruf der Kirche und Ihrer Antwort treu zu bleiben, daß Sie immer in dieser Verfassung bleiben wollen, in der Sie sich jetzt befinden, um zu erwidern: „Adsum, ich bin hier, ich möchte meiner Verpflichtung treu sein“.
Ich glaube, daß es wirklich sehr schwerwiegend ist, die Bruderschaft zu verlassen, besonders für jene, die schon die Gnade des Priestertums erhalten haben. Wir haben diesen Schmerz leider in den letzten Tage erfahren müssen. Und wir sind wirklich in großer Trauer über sie, weil sie jetzt, ich würde sagen, ohne Vater, ohne Mutter, Waisen, Verlassene, sich selbst überlassene sind, wie von der Kirche abgetrennte Glieder, verloren, wie das kanonische Recht es ausdrückt, das ganz richtig jedem Priester verbietet, ungebunden zu sein, vagus – ohne irgend eine Bindung wie auch immer. Ist das der Zustand derer, die sich mehrfach in feierlicher Weise verpflichtet haben, die Gehorsam versprochen haben, die versprochen haben, unserem Herrn Jesus Christus treu zu sein? Nein, wahrlich! Wir beten für sie. Wir bitten den lieben Gott, sie zu erleuchten, daß sie in den Schoß der Kirche zurückkehren, daß sie in die Familie zurückkehren.
Fassen Sie den Vorsatz, meine lieben Freunde, treu zu sein, loyal zu sein. Es ist unredlich die Treue zu versprechen, obwohl man im Grunde des Herzens weiß, daß man das gar nicht will, daß man nicht die wirkliche Absicht dazu hat. Dies wäre eine unglaubliche Unredlichkeit, unwahrscheinlich für einen Christen, unvorstellbar für einen Kleriker, den dies vor Gott in eine ernste Lage bringt! Es ist unvorstellbar, daß man die Kirche um die Gnade des Priestertums bitten könnte, mit der inneren Absicht, seine Familie im selben Augenblick zu verlassen, in dem man die Priesterweihe erhält! Seien Sie daher treu, meine lieben Freunde, besonders in diesen Zeiten.
Die Bruderschaft muß mehr als jemals geeint und stark sein
Diese Familie, die wir darstellen, die von der Kirche, von der Vorsehung gewollt war, muß mehr als je geeint und stark sein. Die Angriffe des Feindes gegen die Kirche, gegen die Treue zur Tradition, zeigen sich heute in sichtbarer Weise. Man könnte sagen, daß die traditionelle Kirche durch die Modernisten zu Grabe getragen wurde, weil sie die traditionelle Kirche nicht mehr wollen. Selbst Kardinal Ratzinger sagt im Wesentlichen in seinem Buch: „Es ist keine Rede mehr davon, zur Vergangenheit zurückzukehren. Die Vergangenheit ist vorbei. Wir müssen jetzt in der Gegenwart bleiben“. Also, nein! Die Vergangenheit der Kirche kann nicht beendet sein.
Wenn die Vergangenheit der Kirche abgeschlossen ist, dann auch die Gegenwart und die Zukunft, weil die Kirche Tradition ist, nichts anderes als Tradition. Wie es Papst Pius X. so gut ausgedrückt hat: „Der wahre Katholik ist Traditionalist“. Man kann nicht wirklich Katholik sein, wenn man nicht Traditionalist ist, weil die Kirche die Tradition Unseres Herrn Jesu Christi von Jahrhundert zu Jahrhundert weitergetragen hat, alles was Unser Herr Jesus Christus hinterlassen hat: seine Lehre, seine Institutionen, seine Kirche, sein Priesteramt, seine Sakramente. Man kann mit solch einer Tradition nicht brechen, ohne den Glauben aufzugeben.
Das ist ein echtes Geheimnis, das wir nicht begreifen können. Wie kann die Kirche – aber nein, es ist nicht die Kirche! – ich würde sagen, wie können die, welche die Kirche besetzt halten, versuchen, sie in ihren Modernismus zu führen, in dessen Irrtümer, in gewisser Weise Unseren Herrn Jesus Christus und seine heilige Mutter aus der Kirche selbst vertreiben? Denn wie wir feststellen konnten, waren die Beschlüsse, die bei der letzten Synode getroffen wurden, zugunsten der Weiterführung des Konzilsgeistes; das heißt die Reformen weiterführen, die Zerstörung der Kirche weiterführen. In den schweren Irrtümern verbleiben, die dem katholischen Glauben vollkommen widersprechen: die Religionsfreiheit, die durch die Konstitution der Menschenrechte und der Freimaurerlogen auf uns kommt; der Ökumenismus, der eine Art Gleichwertigkeit aller Religionen darstellt.
Leider haben wir in den letzten Tagen die Ankündigung von Papst Johannes-Paul II. vernommen, die uns sehr betroffen gemacht hat: die Tagung der Religionen in Assisi im Monat Oktober vom Papst, dem Oberhaupt der Katholischen Kirche einberufen... „Kongreß der Religionen“! Ja, aber gibt es die Religionen? Ich kenne nur eine Religion. Ich kenne eine wahre Religion und falsche Religionen, aber ich kenne nicht die Religionen! Welchen Gott werden sie anrufen in diesem katholischen Gotteshaus des heiligen Franz von Assisi, der mit den Stigmata ausgezeichnet wurde, der mit unserem Herrn Jesus Christus vereint war wie selten Heilige es gewesen sind? Ist es möglich, daß man in einer Kirche der Franziskaner einen anderen Gott als Jesus Christus anbetet? Also, welchen Gott werden sie anrufen: den Gott der Buddhisten, der Heiden, den Gott der Muselmanen, den Gott der Juden? Welchen Gott? Sagen Sie es mir?
Ich glaube, der große Baumeister ist der einzige gemeinsame Nenner, den sie finden können. Der große Baumeister der Freimaurer! Eine Idee der Freimaurer, anders ist es nicht möglich! Wen werden sie anrufen? Wer ist dieser Gott, der der Gott aller Religionen ist? Das ist nicht Unser Herr Jesus Christus, denn der Großteil dieser Religionen kennen ihn entweder nicht, oder sind gegen Unseren Herrn Jesus Christus, wie die Juden oder Muselmann. Wir erleben verblüffende Dinge, die man sich niemals hätte vorstellen können, die von den Päpsten verboten waren. Es hat schon Versuche religiöser Kongresse gegeben: im Jahr 1900, zur Zeit der Weltausstellung in Paris haben Bischöfe befürwortet, einen Kongreß der Religionen durchzuführen, der vom Papst Leo XIII. verboten wurde. Und 1893 hat es auch einen Kongreß der Religionen gegeben, diesmal in Chicago, aber die Teilnahme der Katholiken wurde von Papst Leo XIII. untersagt.
Wir brauchen diese Vereinigung um das Kreuz Jesu
Vor diesem Mysterium also, dem Mysterium des Ruins der Kirche, des Zusammenbruchs des Glaubens, meine lieben Brüder, ist es traurig festzustellen, daß die höchsten Autoritäten in der Kirche und die Bischöfe selbst Werkzeuge der Zerstörung des Glaubens der Kirche geworden sind. Was sollen wir tun außer eben den Angriffen des Teufels widerstehen, vor diesem Schauspiel, dessen Zeugen wir geworden, aber dessen Ursache wir sicherlich nicht sind? Und wie können wir widerstehen, wenn wir nicht geeint sind? Wie widerstehen, wen wir innerhalb unserer eigenen katholischen Familien Zwistigkeiten haben? Wir brauchen mehr denn je diese Vereinigung um das Kreuz Jesu herum mit der allerheiligsten Jungfrau Maria, indem wir unseren Glauben an das Königtum unseres Herrn Jesus Christus bekennen: Jesus Christus, heri, hodie et in saecula (Hbr 13,8), Jesus Christus gestern, heute und in Ewigkeit. Er ist unser Gott. Wir singen es, wir haben es während dieser ganzen Zeremonie gesungen. Wir fahren fort, es während dieses Hochamtes zu singen. Wir verehren ihn, wir beten ihn an wie die allerheiligste Jungfrau Maria, wie der Greis Simeon, wie die Heiligen Drei Könige, wie die Hirten von Bethlehem. Wir verneigen uns, wir knien nieder, wir beten unseren Herrn Jesus Christus an.
Entschließen wir uns doch, meine lieben Freunde, treu zu bleiben diesen Verpflichtungen, die wie eine Ergänzung unserer Taufgelübdes sind, bei dem wir schon versprochen haben, Satan zu widersagen, seinem Pomp und seinen Werken und uns an Christus zu binden. Heute bringen Sie durch den öffentlichen Schritt, den Sie tun und durch Ihre Antwort auf den Ruf der Kirche Ihre Berufung zum Ausdruck. Bleiben Sie Ihrer Verpflichtung treu, und es wird Ihre Freude sein, es wird Ihr Trost sein. Wie gut ist es treu zu sein! Sie werden also eines Tages vernehmen, wie der Liebe Gott gesagt hat: „Euge serve bone et fidelis, quia super pauca fuisti fidelis, intra in gaudium domini tui. Recht so, du guter und treuer Knecht! Über weniges bist du treu gewesen, geh ein in die Freude deines Herrn“ (Mt 25, 21).
Dies, meine lieben Freunde, ist es was ich Ihnen wünsche, für Ihr Glück, zu Ihrem Trost, für Ihre Heiligung und auch zum Gute aller Gläubigen, die Sie umgeben. Sehen Sie, überall bittet man uns Priester zu senden, glaubenstreue Priester, katholische Priester. Was sollen wir tun? Wir können nicht schneller handeln, als die Vorsehung, aber schließlich können wir uns freuen: die Zahl in diesem Jahr war wirklich bemerkenswert. Sie kommen so zahlreich, daß Écône nun voll ist und daß es notwendig wird, eine Entscheidung zu treffen, um das Seminar zu verdoppeln. Ist nicht dies ein Zeichen, daß der Liebe Gott unser Werk segnet und mehr Priester braucht? Bitten wir die heilige Jungfrau, unsere Königin, unsere Mutter, die Schutzpatronin dieses Hauses, Sie zu segnen und aus ihnen einmal gute Priester zu machen.
(Predigt in Écône, 2. Februar 1986)