
Der Gesundheitszustand des 85-jährigen Pontifex ist ernst. Franziskus ist gezwungen, sich im Rollstuhl oder mit Hilfe eines orthopädischen Stocks fortzubewegen. Gerüchte über einen möglichen Rücktritt nehmen zu. Einige Ereignisse, die sich zu Beginn des Sommers ereignet haben, verstärken sie noch.
Kürzlich erst kündigte Papst Franziskus die Schaffung neuer Kardinäle bei einem Konsistorium am 27. August an. Diesem soll sehr zeitnah ein Treffen der Kardinäle aus der ganzen Welt folgen. Offiziell will man bei diesen Treffen die jüngste Reform der römischen Kurie überprüfen, Doch die Zusammenkünfte sind natürlich auch eine Gelegenheit für die Kardinäle, sich gegenseitig kennenzulernen, vor allem für den Fall, dass sie an einem Konklave teilnehmen müssen. Dies veranlasst einige Vatikan-Kenner zu der Annahme, Franziskus wäre dabei, eine Wahlversammlung zu formen, die der Vielfalt der Weltkirche, aber auch seiner eigenen Vision von der Kirche entspricht.
Darüber hinaus hat eine Ankündigung des Vatikans Anfang Juni die Spekulationen wieder angeheizt: Während alle Kardinäle in Rom sein werden, wird der Papst eine eintägige Pilgerreise zur Kathedrale von L'Aquila in den Abruzzen unternehmen, wo Papst Coelestin V. begraben ist, der als erster Papst in der Geschichte auf sein Amt verzichtet hatte.
Angesichts dieser Gerüchte legte der Papst Wert darauf, Mitte Juni einigen brasilianischen Bischöfen auf einem Ad-limina-Besuch und wenig später dem Vatikanisten Philip Pullella mitzuteilen, dass ein Rücktritt „im Moment“ nicht auf der Tagesordnung stehe, wobei er betonte: „Nein, im Moment, nein. Wirklich!“ Franziskus sagte jedoch auch, dass er an dem Tag zurücktreten könnte, an dem seine schlechte Gesundheit ihn unfähig mache, die Kirche zu leiten. Ohne, dass er ein Datum nannte, meinet er: „Wir wissen es nicht. Gott wird es sagen.“ Franziskus gab auch zu, dass er sich bei einem Fehltritt einen „kleinen Bruch“ im Knie zugezogen hatte. Er versicherte Philip Pullella jedoch: „Es geht mir langsam besser“, und erklärte, dass sein Bruch, unterstützt durch eine Laser- und Magnetfeldtherapie, zusammenwachse. Weil die Vollnarkose im letzten Jahr [bei seiner Darmoperation] negative Nebenwirkungen gehabt habe, lasse er sich nicht am Knie operieren.
Für Colleen Dulle, Journalistin beim Jesuitenmagazin America, gibt es ernsthafte Gründe, an einem baldigen Rücktritt des Papstes zu zweifeln. Die Kennerin des Vatikans weist zunächst auf eine einfache Erklärung für den ungewöhnlichen Termin des Konsistoriums hin: Der Papst könnte möglicherweise versuchen, dass die Kardinäle Geld sparen und die außerhalb ihrer Diözesen verbrachte Zeit begrenzen, indem er das Konsistorium und das Treffen in einer einzigen Reise zusammenfassen lässt. Außerdem gibt es einen eigenen Zeitplan: Trotz seiner Behinderung hat Franziskus geplant, im September nach Kasachstan zu reisen, und Gerüchten zufolge sind für 2023 weitere Reisen geplant. Obwohl Päpste Reisen an ihre Nachfolger weitergeben können, scheint es unwahrscheinlich, dass der argentinische Pontifex nicht selbst dorthin reisen will. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der emeritierte Papst Benedikt XVI. noch am Leben ist. Franziskus würde wahrscheinlich einige Änderungen am Status des „Papstes im Ruhestand“ vornehmen wollen, sobald er selbst in dieser Position ist; etwa die Annahme des Titels „emeritierter Bischof von Rom“ statt „emeritierter Papst“.
Darüber hinaus würde er, um die Vorstellung zu zerstreuen, dass es zwei Päpste gibt, keine weiße Kleidung tragen. Es bleibt jedoch schwer vorstellbar, dass Franziskus solche Maßnahmen ergreift, während Benedikt XVI. weiterhin emeritierter Papst ist. Auch andere Beobachter stellten die Gefahr der „Verwirrung“ und „Inkongruenz“ fest, die die Anwesenheit von drei Päpsten in Rom mit sich bringen würde.
Trotz allem schließt Colleen Dulle die Möglichkeit eines Rücktritts nicht völlig aus, wenn sich „sein Gesundheitszustand stark verschlechtert“. Die Journalistin ist der Ansicht, dass der Pontifex sein Amt nur dann aufgeben würde, wenn seine geistigen Fähigkeiten stark beeinträchtigt wären. Ein unmittelbar bevorstehender Verzicht ist daher zwar nicht plausibel, aber es ist dennoch nicht unrealistisch, dass Franziskus den Boden für eine solche mittelfristige Entwicklung bereitet: „Er weiß, dass er nicht ewig leben wird und arbeitet hart daran, sein Erbe durch die Kurienreform, den umfassenden synodalen Prozess [der 2023 abgeschlossen werden soll] und seine Ernennungen für das Kardinalskollegium zu sichern.“ Und es ist genau die Frage nach dem geistigen Zustand des Papstes, die der argentinische Blogger Caminante der Vatikanist Aldo Maria Valli aufgreifen.
Letzterem zufolge zeige das in La Civiltà cattolica veröffentlichte Gespräch des Papstes mit den Leitern der jesuitischen Zeitschriften in Europa im Mai dieses Jahres, dass „die größten Probleme des Pontifex nicht sein schlechtes Knie oder seine Darmdivertikel sind, sondern etwas viel Ernsteres, das das Gleichgewicht seines Urteilsvermögens beeinträchtigt.“ Der bloggende Landsmann des Papstes sieht in dem Interview „die Symptome einer dissoziierten Persönlichkeit. Der Papst spricht über Bischöfe aus Europa oder Amerika, als ob er sie nicht selbst geholt hätte, als ob er nicht selbst der direkte Verantwortliche für diese Bischofsernennungen wäre.
Wir lesen beispielsweise folgenden Absatz: „Ein argentinischer Bischof sagte mir, dass er gebeten worden sei, eine Diözese zu verwalten, die in die Hände dieser Restauratoren gefallen sei.“ Er bezieht sich dabei eindeutig auf die Diözese San Rafael, die einzige mit einem Apostolischen Administrator [Bischof Carlos María Domínguez. Anm. d. Ü.] und Priestern und Gläubigen mit dem Profil von Restauratoren. Aber Franziskus sagt, dieser Bischof sei „gefragt worden“. Wer hatte ihn gefragt? Er selbst, da niemand außer dem Papst in Rom Bischöfe oder Apostolische Administratoren ernennen kann, und erst recht nicht im Fall von Argentinien, dem eine exklusive Verwaltung vorbehalten ist.“
Laut Caminante „ist es dieselbe psychopathische Störung, die Franziskus dazu bringt, sich in einer Lobrede auf Pater Pedro Arrupe, SJ, mit blumigen Anspielungen auf Paul VI. zu verheddern, ohne sich bewusst zu sein (oder vielleicht doch), dass er damit nur das Andenken von Johannes Paul II. beschmutzt, der Arrupe 1981 als Generaloberen der Gesellschaft wegen der nicht nur progressiven, sondern auch atheistischen Fehlentwicklung, zu der Bergoglios bewunderter „Prophet“ sie geführt hatte, abberufen hatte."
Aber kann man aufgrund dieser Aussagen wirklich von einer „dissoziierten Persönlichkeit“ sprechen? Der argentinische Blogger selbst räumt ein, dass seine Diagnose die eines „Amateurs“ und nicht die eines Spezialisten ist. Dennoch sieht er in der obsessiven Rede des Papstes eine paradoxerweise günstige Gelegenheit für eine zukünftige Restaurierung. Er meint: „Je mehr Franziskus über das Zweite Vatikanische Konzil spricht und je mehr er darauf besteht, desto mehr wird dieses so katastrophale Ereignis ins Visier genommen, da es mit ihm und der erbärmlichen Entwicklung seines Pontifikats in Verbindung gebracht wird. Deshalb ist es vielleicht besser, noch geduldig zu sein und Gott zu bitten, den Diener seiner Diener noch eine Weile auf der Erde zu behalten, damit er mit seinen Ungeschicklichkeiten alles, was in Verruf gebracht werden muss, zu Ende bringt und es seinem Nachfolger leicht gemacht wird, alles wieder auf Kurs zu bringen und die Kirche in ihrem wahren, ziemlich entstellten Gesicht ‚wiederherzustellen‘.“
Weniger politisch und realistischer stellt der Vatikanist Sandro Magister in seinem Blog vom 20. Juni fest: „In diesem Pontifikat auf dem absteigenden Ast herrscht totale Verwirrung, zumal Franziskus alle Macht in seinen Händen konzentriert, als wäre er von einer unbändigen Angst getrieben, selbst, ganz allein, das zu tun, was die unfähige ‚Institution‘ nicht tut.“ Und er enthüllt: „Der Papst vertraute einem befreundeten argentinischen Priester, den er in den letzten Tagen im Domus Sanctae Marthae getroffen hatte, an, dass er gerade das letzte [posthume] Interview-Buch des Jesuitenkardinals Carlo Maria Martini [1927-2012], Jerusalemer Nachtgespräche, lese und dass er dessen These voll und ganz zustimme: „Die Kirche ist 200 Jahre zurückgeblieben“.
„Die Obsession von Papst Franziskus besteht darin, in den wenigen Jahren seines Pontifikats selbst diese zweihundert Jahre Rückstand der Kirche aufzuholen. Mit Folgen, die vor aller Augen ausgebreitet werden.“
Diese fixe Idee bei Papst Franziskus ist leicht festzustellen und schwer zu bestreiten.