Ehe: Das Beispiel Christi und der Kirche nachahmen

Das Mitteilungsblatt der FSSPX führte aus Anlass der Familiensynode im Vatikan ein Gespräch mit Pater Ludger Grün über Fragen zu Ehe und Familie.

Mitteilungsblatt: Herr P. Grün, anlässlich der Synode fragen sich viele Katholiken, wie man den Eheleuten wirklich helfen kann. Die Situation in vielen Familien scheint sehr angespannt, und daneben gibt es noch das Thema der „wieder verheirateten Geschiedenen“.

Pater Ludger Grün: Fangen wir vielleicht mit der Synode an. Sie scheint ein Endpunkt einer langen Bewegung zu sein. Während Christus sein öffentliches Wirken mit der Wiederherstellung der Familie begann, versucht nun die Synode, die nach dem Konzil eingetretenenMissstände einfach als gut und normal zu deklarieren. Seit Jahrzehnten hat man das Thema des Ehesakramentes in der Predigt vernachlässigt, man hat über Verhütungsmittel geschwiegen, die Ehevorbereitung liegt am Boden, die Liturgie inspiriert nicht mehr Opfergeist, den man unbedingt für das Wachstum einer Beziehung braucht, und niemand kümmert sich um die Frage, wie man die christlichen Familien vor einem verweltlichten Geist schützen kann. Ein sehr bekannter Paartherapeut war vor einigen Jahren zu einer Fortbildungsveranstaltung für Mitarbeiter einer kirchlichen Eheberatung eingeladen. Als er in seinen Vorträgen über das Ehesakrament sprach, änderte sich auf einmal die Stimmung. Er sagte: „Ich hatte das Gefühl, dass ich ein schmutziges Tabu angerührt hatte.“ Das zeigt ein bisschen, wie wenig Wert man heute auf das Ehesakrament legt. Die Folge dieser Vernachlässigung sind vielfache Probleme in der Ehe und eine Kraftlosigkeit der Eheleute, das Sakrament wirklich aus der Sicht des Glaubens zu leben.

MB: Was meinen Sie damit, das Sakrament aus der Sicht des Glaubens zu leben?

Pater Ludger Grün: Ich habe vor einiger Zeit eine Familienmutter gefragt, was für sie das Ehesakrament bedeutet. Da blieb sie lange Zeit still und sagte dann: „Dass wir zusammenbleiben“. Auch wenn es manchmal eine große Leistung ist, die Familie zusammenzuhalten, bedeutet diese Antwort doch eine große Armut. Stellen Sie sich vor, Sie fragen einen Priester, was für ihn das Priestertum bedeutet, und er antwortet Ihnen: „Dass ich Priester bleibe“. Da gehört also viel mehr dazu. Der zentrale Punkt ist, dass die Eheleute begreifen, dass ihre Ehe ein lebendiger, übernatürlicher Zweig am Stamm der Einheit von Christus und der Kirche ist. Dieser Zweig lebt aus dem Leben des Stammes. Daraus folgt einerseits eine große Würde der Eheleute, denn sie repräsentieren Christus und die Kirche. Auf der anderen Seite liegt darin auch die Aufgabe, einander dieselbe Liebe zu schenken, die zwischen Christus und der Kirche herrscht. Eine weitere Folge ist, dass die Ehegatten zueinander stehen wie Haupt und Leib, und auch dies muss sich im Leben der Familie zeigen. Schließlich leben beide in derselben Liebe zu ihren Kindern, wie auch Christus und die Kirche für die Kinder Gottes da sind. Wenn man dies den Eheleuten mit Beispielen und Hinweisen darlegt, haben sie auf einmal eine Quelle neuen Lebens für ihre Ehe.

MB: Haben Sie damit schon Erfahrungen gemacht?

Im März haben wir in den USA zwei Missionswochen für Eheleute gehalten. Da es dort relativ große Zentren gibt, kamen in den zwei Wochen ca. 1100 Personen zusammen. Das Echo auf diese Vorträge kann man zusammenfassen mit dem Wort eines Familienvaters: „Bis jetzt hatten wir eine horizontale Sicht unserer Ehe, Sie haben uns wieder eine Sicht von oben zurückgegeben.“ Ein anderes Ehepaar sagte: „Auf der natürlichen Ebene haben sie uns vielleicht nicht viel Neues gesagt, aber auf der übernatürlichen Ebene sehr viel.“ Nach den Predigten und Vorträgen haben sehr viele Eheleute zum Ausdruck gebracht, dass es für sie eine große Ermutigung war.

MB: Worin sehen Sie den Grund für diese Ermutigung?

Pater Ludger Grün: Die Antwort ist ziemlich einfach: Die Eheleute waren froh, konkrete Beispiele und Hinweise zu bekommen, wie und auf welche Weise sie das Familienleben aus dem Ehesakrament gestalten können. Oft hören sie, dass das Leben ein Kreuztragen ist, dass eine Familie ohne Gebetsleben nicht überleben kann, dass sie treu sein müssen bis in den Tod. Das ist alles sehr richtig und muss gesagt werden. Aber wenn man dann noch zeigt, wie sie einander die Liebe von Christus bzw. der Kirche schenken können, in welchen Verhältnissen sie zueinander stehen sollen, wie sie die Aufgabe der Erziehung sehen sollen und mit welchen Mitteln sie so das Sakrament leben können, haben sie auch einmal etwas Konkretes in der Hand, um das tägliche Leben neu zu gestalten und zu formen.

MB: Können Sie dafür einige Beispiele geben?

Pater Ludger Grün: Wenn die Eheleute ein lebendiger, übernatürlicher Zweig am Stamm Christus – Kirche sind, muss sich das Leben des Stammes in den Zweigen finden. Ein Beispiel, das ich gern erzähle: Stellen Sie sich einen Winzer vor, der durch seinen Weinberg geht und sich schon auf die Ernte freut. Überall sieht er herrliche Trauben wachsen, nur bei einem Weinstock bleibt er mit weit aufgerissenen Augen stehen: Da hängen nicht Trauben am Weinstock, sondern Bananen! Ein solches Bild geben Eheleute ab, die ihre Ehe nur nach natürlicher Anziehung, Sympathie und Alltag leben, ohne das Beispiel von Christus und der Kirche nachzuahmen. Christus hat sein ganzes Leben damit zugebracht, für den Vater und die Kirche zu leben, zu opfern und für sie da zu sein. Ich habe einmal den Schülern einer Klasse 100 Franken angeboten, wenn sie mir einen Moment im Leben Christi nennen könnten, wo er nicht ganz für Kirche da war. Zum großen Leidwesen der Klasse wanderten die 100 Franken nicht aus meiner Tasche. So lebt ein Ehemann wie Christus ständig für seine Frau und die Kinder. Andererseits lebt die Kirche ganz für Christus. Die Atmosphäre, die man in einem Kirchenbau findet, mit seiner Zentrierung auf das Kreuz und den Altar, mit seinem Schmuck, mit seiner Stille, ist ein Zeichen der Ausrichtung der Kirche auf ihren Bräutigam. Sie lebt für ihn, erfüllt seine Aufträge, schenkt ihm die Kinder Gottes und ist nur für ihn da. Diese Liebe von Christus bzw. der Kirche wird im Ehesakrament in die Herzen der Ehegatten eingegossen. Sie dürfen sie einander schenken und haben so eine unerschöpfliche Quelle für immer neues Leben in ihrer Beziehung. Ein weiteres Thema in diesen Vorträgen war auch das Leben als Haupt und Leib, und die Sorge für die Kinder Gottes.

MB: Ist das nicht ein bisschen zu theoretisch?

Pater Ludger Grün: Natürlich hört sich das theoretisch an, wenn man es nicht anhand von Beispielen aus dem täglichen Leben veranschaulicht. Denn dieses tägliche Leben gibt unzählige Möglichkeiten, einander die Liebe und Respekt zu zeigen, die Christus und die Kirche verbinden. Nehmen Sie nur das Beispiel einer Ehefrau, die ständig ihren Mann beherrschen will. Ihr Leben strahlt die Botschaft aus, dass die Kirche über Christus herrsche. Oder nehmen Sie einen Familienvater, der seiner Frau alle Erziehungsarbeit überlässt und seine Verantwortung als Vater „ruhen lässt“. Er behauptet mit seinem Leben, dass Christus seine Kirche allein lasse. Oder nehmen Sie einen Vater, der alles alleine entscheiden will. Dabei vergisst er, dass Christus seiner Kirche vieles delegiert hat und ihrer Entscheidung überlässt: „Was ihr auf Erden binden werdet, wird auch im Himmel gebunden sein.“ Wenn man, wie in den USA, eine ganze Woche Zeit hat, diese Fragen mit Beispielen durchzugehen, ergibt das eine große Ermutigung für die Eheleute. Denn viele von ihnen sind ja sehr motiviert, und wollen ihr Familienleben religiös gestalten. Besonders in den USA habe ich viele Ehepaare getroffen, die tief beeindruckend sind. Manche von ihnen sind heroisch, wenn sie inmitten der amerikanischen Gesellschaft versuchen, ihre Familie zu einem Heiligtum für Gott zu machen.

MB: Könnte man solche Vorträge nicht auch im deutschsprachigen Raum anbieten?

Pater Ludger Grün: Auf den Priestertreffen im deutschen, schweizerischen und österreichischen Distrikt haben wir schon öfter über dieses Thema gesprochen und auch Unterlagen ausgetauscht, die man für solche Predigten und Vorträge benützen kann. Da könnten jetzt die Gläubigen ein bisschen nachhelfen, indem sie ihre Seelsorger um solche Vorträge bitten.

MB: Besteht da nicht die Gefahr, dass man den Familien noch mehr Lasten auferlegt?

Pater Ludger Grün: Es geht hier nicht um eine weitere Frömmigkeitsübung, man muss nicht mehr machen, sondern es vielmehr anders machen. Man muss wieder entdecken, dass man ein Zweig am Stamm ist, der vom Stamm getragen, geschützt und versorgt ist. Die Ehepaare sind nicht allein, sondern leben in tiefer Verbundenheit mit Christus und der Kirche. Das Leben des Ehesakraments bringt nicht zusätzliche Gebetspflichten mit sich, sondern Hilfe und Gnade, das Familienleben im Frieden Christi zu leben.

MB: Angesichts vieler Spannungen in den Ehen könnte das aber als etwas naiv erscheinen.

Pater Ludger Grün: Spannungen gibt es leider überall dort, wo Menschen zusammenleben. Andererseits muss man sich fragen, ob nicht viele Probleme gerade daher kommen, dass man im täglichen Leben das Sakrament völlig unbeachtet gelassen hat. Damit hat man nämlich eine ungeheure Kraftquelle beiseitegelassen und sich zu sehr auf rein menschliche Kräfte gestützt. Es ist klar, dass das die Probleme vermehrt.

MB: Stellen Sie denn als Priester eine solche Vernachlässigung fest?

Pater Ludger Grün: Es ist auffällig, dass in der Beichte selten oder nie angeklagt wird, was gegen die gegenseitige Liebe und die Strukturdes Paares geht. Kaum ein Ehemann, der bekennt: „Ich habe zu viel Zeit vor dem Computer verbracht, statt mit meiner Frau über ihr Leben und ihre Ansichten zu sprechen.“ Oder: „Ich habe meine Verantwortung für meine Frau vernachlässigt und ihr zu wenig Wertschätzung geschenkt.“ Ähnliche Beispiele könnte man auch für die Frauen anführen. Das Auslassen dieser Themen in der Beichte zeigt mir, dass die Eheleute die Arbeit an der Beziehung selten als religiöse Aufgabe ansehen. Dabei ist es ihre Aufgabe, einander dieselbe Liebe zu schenken, die zwischen Christus und der Kirche herrscht. Wenn man das nicht macht, ergibt sich ein immer größerer Abstand von Religion und Leben, das typische Problem der Pharisäer.

MB: Aber was kann man sich von einer Erneuerung der Ehen versprechen?

Pater Ludger Grün: Man darf nicht vergessen, dass die Familien Zukunftsträger sind. Wenn es heute keine katholischen Familien gibt, gibt es morgen keine katholische Kirche mehr, dann ist in 40 Jahren alles ausgestorben. Darum wäre die Vernachlässigung der Familienseelsorge eine Vernachlässigung der Zukunft der Kirche. In unserem Fall bedeutet das, dass die Zukunft eines Distrikts von den Ehepaaren abhängt. Die Qualität des Distrikts von morgen kommt von der Qualität der Priester und Ehepaare von heute. Und die erste Quelle für ein christliches Familienleben ist das Ehesakrament. Darum müsste ein Priester alles daransetzen, dieses sakramentale Leben zu fördern. Er darf nicht vergessen, unter wie vielen Belastungen und Ablenkungen die Eltern zu leiden haben. Ohne die besondere Hilfe der Priester kann es ihnen nicht gelingen, das Leben mit und aus Christus und der Kirche ins Zentrum zu stellen.

MB: Hat das auch etwas mit Berufungen zu tun?

Pater Ludger Grün: Man kann sagen, dass die Eltern den ersten Platz bei der Vorbereitung von Berufungen haben. Denn was ist vonnöten, damit ein junger Mensch sich ganz dem Dienst Gottes und der Kirche hingibt? Er braucht Liebe zu Gott, Liebe zu Christus, Liebe zur Kirche und den Seelen. Genau diese Liebe lebt aber in einer Familie, in der der Vater Christus, dem Bräutigam, immer ähnlicher wird und die Mutter der Kirche als Braut Christi immer ähnlicher wird. Es ist die Liebe aus dem Ehesakrament. Auch von daher haben die Eltern eine große Aufgabe, denn ohne ihr religiöses Leben ist es jedes Mal ein besonderes Wunder, wenn jemand eine Berufung hat und ihr folgt.

MB: Wenn man das alles hört, bekommt man den Eindruck, dass die Ehepaare ziemlich einsam dastehen. Gesellschaft, Ortskirche, Verwandte, sie alle leben oft in einem anderen Geist. Wie soll das gelingen?

Pater Ludger Grün: Das ist tatsächlich eine große Herausforderung und vielleicht bedarf es da noch eines gemeinsames Bandes, das die Familien verbindet, die mit dem Sakramentsleben Ernst machen wollen. Aber das ist eine Frage der Zukunft.

MB: Kommen wir noch einmal auf die Synode zurück. Was von Ihren Ausführungen lässt sich auf die Frage der „wiederverheirateten Geschiedenen“ anwenden?

Pater Ludger Grün: Der Ausdruck „wiederverheiratete Geschiedene“ ist eigentlich sehr irreführend. Denn weder sind diese Leute vor Gott geschieden noch sind sie wieder verheiratet. Die staatlich versuchte Scheidung hat nicht mehr Wirkung als ein Gesetz, das regeln wollte, wann der Mond am Himmel scheint. Vor Gott und in der Wahrheit haben alle diese gemeinten Personen bereits einen Ehegatten, und sie haben Kinder, die furchtbar unter einer Scheidung leiden. Jetzt so zu tun, als könne man solche Zustände irgendwie rehabilitieren, erinnert ein bisschen an das Weißmalen der Gräber durch die Pharisäer. Sicher gibt es Fälle, die sehr kompliziert sind, ja wo sogar wegen der Kinder ein Auseinandergehen nicht gut wäre. Aber in solchen Fällen hat die Kirche immer die Enthaltsamkeit als Bedingung gefordert. Es ist wiederum bezeichnend, dass dieser Weg auf dem ersten Teil der Synode nicht ernsthaft zur Diskussion stand. Darüber hinaus ist es wohl naiv, anzunehmen, dass alle Geschiedenen guten Willens seien. Wenn man Beispiele von Scheidungen hört, ist man oft entsetzt über die Verantwortungslosigkeit, mit der jemand Frau bzw. Mann und Kinder verlässt. Das ist sicher etwas, das man sehr ernst nehmen muss.

MB: Haben Sie bei all diesen düsteren Aussichten auch ein Wort der Ermutigung für die Eheleute?

Pater Ludger Grün: Ermutigend ist vor allem, dass die Ehepaare „ein großes Geheimnis“ (Paulus) leben, dass sie von Christus und der Kirche getragen sind und geliebt werden, dass sie einander schon dieselbe Liebe schenken dürfen, die beim himmlischen Hochzeitsmahl ewig gefeiert werden wird. Ermutigend ist auch, dass Gott seine geliebten Kinder den Eltern anvertraut hat und dass er alle Leiden und Mühen, die die Ehepaare auf sich nehmen, hundertfach belohnen wird. Er selbst will ja all das vollenden, was die Eltern mit schwachen Herzen und Händen anfangen. Sie sollen auch nie vergessen, dass der Blick Mariens immer über sie wacht und dass sie wie in Kana schnell zum Herrn gehen wird, wenn dem Ehepaar der Wein der Liebe fehlt. Ihr Unbeflecktes Herz ist ja gerade unserer Zeit als besondere Stütze geschenkt.