Altes Testament und Archäologie: 4. Der Zug der Israeliten durch die Wüste

Quelle: Distrikt Deutschland

Nach Num 2,32 sollen es 603 550 waffenfähige Männer über 20 Jahren gewesen sein, die aus Ägypten auszogen. Das gesamte Volk müsste dann aus weit über 2 Millionen Menschen bestanden haben. Diese Zahl ist viel zu groß, denn in ganz Ägypten lebten damals wahrscheinlich nicht viel mehr als 2 Millionen Menschen. Ein Heer von einer halben Million waffenfähiger Männer hätte sich auch vor den 600 Streitwagen des Pharaos (vgl. Ex 14,7) nicht fürchten müssen.

Eine mögliche Erklärung besteht darin, dass das hebräische Wort für „tausend“ ʾeleph (Ziffern gab es damals noch nicht) auch die Bedeutung „Clan“ oder „militärische Einheit“ hat. So würden aus den 46 500 Mann des Stammes Ruben 46 Einheiten von insgesamt 500 Mann. Insgesamt käme man auf diese Weise auf 598 Einheiten mit einer Gesamtzahl von etwa 5550 waffenfähigen Männern. Die Gesamtzahl der Israeliten hätte dann 20 bis 30 000 betragen, was eine realistischere Zahl ist.

Vom Schilfmeer aus zogen die Israeliten zur Wüste Schur, heißt es in Ex 15,22. Wenn mit dem Schilfmeer eine Bucht im Nildelta gemeint ist, wäre die Wüste Schur die Gegend nördlich der heutigen Sinai-Halbinsel. Die Karawanenführer vergangener Jahrhunderte beklagten die schlechte Qualität des wenigen Wassers, das man dort findet. So heißt es auch in Ex 5,23: „Als sie nach Mara kamen, konnten sie das Wasser von Mara nicht trinken, weil es bitter war. Darum hieß es Mara“ (Ex 15,23). Das heutige Nekhel könnte der Ort gewesen sein, den die Israeliten MaraBitterbrunnen nannten. Gott zeigte dem Moses ein Holz, das das Wasser trinkbar machte. Manche denken an die Holzkohle der Seyal-Akazie, die heute noch für die Wasserreinigung verwendet wird, da sie salzige und übelschmeckende Moleküle durch ihre poröse Oberfläche absorbiert.

Als nächste Station wird Elim genannt, wo es „zwölf Quellen und siebzig Palmen gab“ (Ex 15,27). Dieser Ort könnte das heutigen Eilat sein, wo es viele Quellen und Palmen gibt. Elim und Eilat haben im Hebräischen dieselbe Wurzel, die „Bäume“ oder „Hain“ bedeutet.

Wachteln und Manna

Auf dem weiteren Weg in die Wüste kam es dann zu dem Wunder der Wachteln und des Mannas (Ex 16,13 f). Die Wachteln fielen auf ihrem Weg in den Süden und wieder zurück im Frühling und im Herbst regelmäßig in großen Schwärmen in der Gegend von Midian ein. Heute sind sie viel seltener geworden, weil sie stark bejagt wurden. Wegen des langen Flugs waren sie erschöpft und konnten leicht gefangen werden. Vielleicht haben auch die Lagerfeuer der Israeliten – der Schwarm kam am Abend – die Vögel irritiert. Dieses Ereignis dürfte im Frühling stattgefunden haben (April/Mai), als die Vögel nach Norden zogen.

Nach Num 11,31-34 ereignete sich eine solche Wachtelspende nochmals, nachdem die Israeliten vom Gottesberg wieder aufgebrochen waren. Ein Wind vom Meer her ließ die Wachteln in großer Menge ins Lager fallen. Aber diesmal wurden die Leute, die von ihnen aßen, krank und viele starben. In der Antike berichtet schon Plinius, dass es nach dem Genuss von Wachteln immer wieder zu rätselhaften Todesfällen kam. Die Ärzte bezeichneten diese Krankheit als Koturnismus, nach dem lateinischen Namen der Wachtel Coturnix coturnix. Am 3. Mai 1978 kam es sogar zu einem Ereignis, das an das im Buch Numeri geschilderte erinnert. Damals schien sich in der Morgenfrühe (4 Uhr) auf dem Tanker Star of Bahrein der Hitchcock-Film „Die Vögel“ wahr zu werden. Das Schiff wurde von Vogelmassen überfallen, die durch Fenster und Luken auch in die Kabinen und Maschinenräume drangen. Die Ursache davon wurde bald erkannt: Ein Sturmtief nahte und die Wachteln hatten sich auf dem Schiff in Sicherheit bringen wollen. Natürlich versorgten sich die Matrosen ausgiebig mit Frischfleisch, sobald der Sturm nachließ, aber nach zwölf Stunden litten fast alle Besatzungsmitgliedern an Vergiftungserscheinungen, und drei starben sogar.

Meist behauptet man, die Wachteln hätten in solchen Fällen giftige Samen gefressen, und das Gift habe sich in ihrem Fleisch abgelagert. Dröscher schreibt nun aber, der kalifornische Wissenschaftler Grivetti habe 1980 herausgefunden, dass bei den Wachteln, wenn sie in Lebensgefahr geraten, der Stress in ihrem Muskelfleisch Giftstoffe erzeugt (Vitus B. Dröscher: … und der Wal schleuderte Jona an Land. Die Tierwunder der Bibel naturwissenschaftlich erklärt, Goldmann 1990, S. 67 f.). Die Wachteln hatten sich also vor dem Sturm nur noch unter Aufbietung ihrer letzten Kräfte retten können. Somit waren die Wachteln in dem Num 11 geschilderten Ereignis wahrscheinlich gerade noch einem Sandsturm entkommen und deswegen giftig.

Auch für das Manna gibt es ein natürliches Phänomen. Aus einer Tamarisken-Art, der Tamarix mannifera seu nilotica, die in Wüsten und Halbwüsten wächst, quillt, wenn sie von einer Schildlausart (den Mannaschildläusen) angezapft wird, ein honigfarbener Saft, der weißliche, etwa 3 mm große Perlen bildet, die sich an der Luft verfestigen und über Nacht in Massen zu Boden fallen. Sie müssen in aller Frühe aufgesammelt werden, denn sonst holen sie die Ameisen weg. Das klingt ähnlich wie der Bericht der Bibel, erklärt aber sicher nicht alles, denn es dürfte auf natürliche Weise kaum so viel geben, um ein ganzes Volk jahrelang zu ernähren. In der Bibel heißt es zudem, das Volk hätte am Vorabend des Sabbats doppelt so viel sammeln können wie sonst, weil es am Sabbat nichts gab, wofür es keine natürliche Erklärung gibt. Vermutlich war die Speisung mit dem Manna ein Wunder, das an ein natürliches Phänomen anknüpfte.

Die Gesetzgebung und das Bundeszelt

40 Tage nach dem Auszug sollen die Israeliten am Berg Horeb angekommen sein, und am 50. Tag offenbarte Gott dem Moses das Gesetz. Nach dem Ägyptologen Kenneth Kirchen entsprechen Form und Aufbau der Gesetzestexte, wie sie uns im Pentateuch begegnen, hethitischen Verträgen aus dem 15.–13. Jh. v. Chr., passen also durchaus in die Zeit, wohingegen viele moderne Exegeten von einer viel späteren Abfassung ausgehen.

Das Offenbarungszelt und die Bundeslade, die die Israeliten dort anfertigen sollten, waren für sie nichts völlig Neues, da sie Ähnliches schon in Ägypten gesehen hatten. Auch die Ägypter kannten tragbare Tempelzelte für ihre Kriegszüge. Tragbare Schreine gab es ebenfalls in den ägyptischen Tempeln. Im Grab des Tutanchamun fand man mehrere davon, die wie die Bundeslade aus Akazienholz bestehen, das innen und außen vergoldet wurde, und Tragringe aufweisen, durch die man Stangen schieben kann. Akazienholz ist in Midian häufig. Der Gebrauch von Priestergewändern aus Leinen spricht ebenso für die Herkunft aus Ägypten, denn für Kanaan wäre Wolle zu erwarten gewesen. So wie man unserer Religion anmerkt, dass sie aus Palästina stammt (z. B. der Gebrauch von Wein und Olivenöl), so scheint auch der Aufenthalt in Ägypten Spuren im jüdischen Kult hinterlassen zu haben.

Nach Num 10 blieben die Israeliten etwa ein Jahr lang am Berg Sinai, denn es heißt: „Im zweiten Jahr, im zweiten Monat, am zwanzigsten des Monats, erhob sich die Wolke von der Wohnung des Gesetzes. Da brachen die Israeliten Zug um Zug von der Wüste Sinai auf“ (V.11-12). Die meisten Namen der folgenden Stationen, die in der Bibel erwähnt werden, können von uns heute nicht mehr identifiziert werden. Jedenfalls müssen die Israeliten nach Norden in Richtung Kanaan gezogen sein, bis sie nach Kadesch Barnea kamen. Von hier aus sandten die Israeliten Kundschafter nach Kanaan, ließen sich aber durch deren Bericht über die Stärke der Bewohner so entmutigen, dass sie murrten und nicht weiterziehen wollten. Deswegen durfte keiner von den Männern, die ausgezogen waren, ins Land einziehen außer Kaleb und Josua (vgl. Num 13-14; Dtn 1).

Kadesch Barnea

Kadesch Barnea muss in der Nähe der berühmten Felsenstadt Petra gelegen haben. Der nahegelegene Berg Hor haHar war der Ort, an dem Aaron begraben wurde. Das bei Petra gelegene Tal heißt noch heute Wadi Musa. Auch hier gibt es einen gespaltenen Felsen, aus dem noch reichlich Wasser fließt. Petra wurde allerdings erst im 4. Jh. v. Chr. von den Nabatäern gegründet. Sie fassten die Moses-Quelle und leiteten das Wasser nach Petra.

Hier war der Ort des Streitwassers (Meriba, vgl. Num 20), d. h. des Zweifels von Moses und Aaron, ob Gott Wasser spenden werde. Es gab schon ein ähnliches Wasserwunder vor dem Sinai (vgl. Ex 17,3-7). Es geht aus dem Bibeltext allerdings nicht klar hervor, wie sich der Zweifel von Moses und Aaron zeigte. Vielleicht war das Schlagen an den Felsen mit dem Stock eigenmächtig, denn in Num 20,8 wurde ihnen nur gesagt, dass sie den Felsen anreden sollten. An den Felsen ist manchmal an schwarzen, fast vertikalen Streifen zu erkennen, dass sich dort Grundwasser gesammelt hat. Die Beduinen erkennen solche Stellen und wissen, wie sie mit ein paar Stockschlägen das Wasser freisetzen können.

Moses und Aaron durften jedenfalls das gelobte Land deswegen nicht betreten. Aaron starb schon nach dem Aufbruch von Kadesch auf dem Berg Hor, wo man sein Grab noch heute besuchen kann. Er legte seine hohepriesterlichen Gewänder ab und Moses legte sie dessen Sohn Eleasar an (Num 20,22-29).

Der weitere Weg

Von Kadesch-Barnea wollten die Israeliten durch das Gebiet der Edomiter ziehen. Weil die Edomiter das verweigerten (vgl. Num 20,14 ff), zogen sie wieder nach Süden, um das Gebiet von Edom zu umgehen. Die Israeliten fingen wieder an zu murren, und Gott sandte deshalb Giftschlangen (Num 21,4 f).

Auch der König der Ammoniter wollte den Israeliten die Durchreise verweigern, aber weil um sein Reich keine Umgehungsstraße führte, wagte Moses den Kampf und siegte (Num 21,21 ff). Danach stellte sich Og, der König von Baschan, gegen Israel, wurde aber ebenfalls geschlagen.

Der König von Moab, Balak, wollte dann den Kampf durch eine vorhergehende Verfluchung des Gegners vorbereiten. Er verpflichtete dazu den Orakelpriester Bileam, den Sohn Beors (Num 22,5). Dieser versuchte dreimal, die Israeliten zu verfluchten, aber jedes Mal kam ein Segensspruch aus seinem Mund. Schließlich schaute er sogar den kommenden Messias: „Ich sehe ihn, doch nicht jetzt, ich schaue ihn, doch nicht nah: Ein Stern geht auf aus Jakob, ein Zepter reckt sich aus Israel. Moabs Schläfen wird es zerschmettern, Sets Söhne allesamt vernichten!“ (Num 24,17)

Dieser Bileam, der Sohn Beors, wird auch außerhalb der Bibel in einer 1967 im Ostjordanland entdeckten Inschrift genannt, in der er als „Seher der Götter (Elohim)“ bezeichnet wird. Die Inschrift war auf der Mauer eines Gebäudes, das wohl kultischen Zwecken diente, aufgetragen und enthält eine Unheils-Prophetie.

Moses durfte schließlich vom Berg Nebo (808 m) aus einen Blick auf das verheißende Land werfen. Dann starb er, aber sein Grab kennt niemand (Dtn 34,6).